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Die Erfindung des Lebens: Roman

Die Erfindung des Lebens: Roman

Titel: Die Erfindung des Lebens: Roman
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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anderen Kindern schien es solche guten Freundschaften durchaus zu geben, und genau diese Kinder, die einen guten Freund hatten, beneidete ich sehr. Zwar spielten auch diese Kinder nicht nur mit ihrem besten Freund, sondern immer auch mit anderen Kindern, es war aber nicht zu übersehen, dass sie besonders häufig und gern mit ihrem jeweiligen besten Freund spielten.
    Ich erkannte gute Freundschaften daran, dass diese Freunde sich manchmal von den anderen Kindern etwas zurückzogen und dann eine Weile nur zu zweit spielten. Hingerissen von so viel Zusammengehörigkeit starrte ich solche Freunde oft minutenlang an und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Wie schön zum Beispiel war es, wenn ein Kind einem andern etwas in die Hand drückte, und dieses Kind das Überreichte dann in die Hand nahm, damit spielte und nach einer Weile wieder zurückgab.
    Am schönsten aber war es, wenn ein Kind seinem Freund etwas schenkte, auch das kam vor, ein Kind schenkte seinem Freund irgendeine Kleinigkeit, die es gebastelt hatte, solche Kleinigkeiten gab man nicht zurück, sondern steckte sie ein.
    Manchmal stellte ich mir vor, dass bestimmte Kinder zu Hause lauter geschenkte Kleinigkeiten gesammelt hatten, so hätte ich es jedenfalls gemacht, ja genau, ich hätte die Geschenke in einen bunten Schuhkarton gelegt oder irgendwo aufgestellt, und dann hätte ich sie immer anschauen und mich daran erinnern können, wer mir wann welches Geschenk gemacht hatte.
    Da ich aber weder Freunde, geschweige denn einen richtigen, guten Freund hatte, dachte ich mir ab und zu einen aus. Mein Freund hieß Georg, Georg war stark und freundlich und etwas größer als ich, leider war er nicht immer da, wenn ich mich auf dem Kinderspielplatz aufhielt, doch wenn ich ihn dringend brauchte, kam er meist rasch vorbei und setzte sich neben mich, und dann spielten wir zu zweit oder unterhielten uns über die Zeitschriften, die wir uns gegenseitig ausgeliehen hatten.
    Einmal hatte Georg mir eine bunte Murmel geschenkt, die schönste von allen Murmeln, die er selbst gehabt hatte, so großzügig und freundlich war Georg zu mir gewesen. Meine Eltern aber wussten natürlich von Georg nichts, Mutter hatte sich nur einmal gewundert, als ich die bunte Murmel aus meiner Hosentasche gezogen und begonnen hatte, mit ihr zu spielen. Sie hatte die Murmel in die Hand genommen, um sie genauer zu betrachten, wahrscheinlich hatte sie geglaubt, ich hätte die Murmel irgendwo gefunden, und genau in dieser Vermutung bestärkte ich sie, indem ich auf einen nahen Strauch zeigte, als hätte die Murmel genau dort gelegen, während doch in Wahrheit mein Freund Georg sie eigens dort für mich versteckt hatte …

5
     
    AM GESTRIGEN Sonntagmorgen bin ich noch früher aufgestanden als sonst. Ich bin hinunter auf den weiten Platz vor meinem römischen Wohnhaus gegangen und habe in einer der vielen kleinen Bars einen Caffè getrunken. Für einen Moment habe ich überlegt, ob ich in einen Frühgottesdienst gehen sollte, dann aber bin ich erst hinunter zum Tiber und eine Weile an seinem Ufer entlang spazieren gegangen. Ich war beinahe allein, nur ein paar Jogger liefen an mir vorbei, ich blieb stehen und schaute durch das aquarellgrüne Laub der Platanen hinüber zum anderen Ufer.
    Erneut dachte ich daran, in einen Gottesdienst zu gehen, beinahe an jedem Sonntag kommt dieser Gedanke immer wieder und ganz unwillkürlich. Der Sonntag ist ein Tag, dessen Verlauf und dessen Rituale mir aus den Kindertagen geblieben sind, es ist, als wäre ich damals für immer mit bestimmten Sehnsüchten und Erwartungen geimpft worden, ohne die ich mir einen Sonntag einfach nicht vorstellen kann.
    In den Kindertagen war dieser Tag nämlich der Tag des ganz anderen Lebens, des Lebens mit festlichem Charakter, das mit dem sonstigen Werktagleben nur sehr wenig gemein hatte. Einige Bestandteile dieses anderen Lebens hatte ich schon während jener Kirchgänge mit meiner Mutter kennengelernt, die alle paar Tage stattfanden, meist aber nicht länger als einige Minuten dauerten. Sie führten uns in eine nahe gelegene Kapelle mit einem spitz zulaufenden Dach, in der es gleich rechts vom Eingang eine Gebetsnische mit einem Marienbild und vielen brennenden Kerzen gab.
    Wenn wir uns zum Gebet vor dieses Bild knieten, ereignete sich jedes Mal etwas Merkwürdiges. Schaute ich nämlich konzentriert auf das Bild, wurde die Kirchenstille ringsum um einige Grade stiller, nur noch die feinsten Geräusche waren zu hören, das leise
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