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Die Entscheidung der Hebamme

Die Entscheidung der Hebamme

Titel: Die Entscheidung der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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leider nicht.
    Es wäre einfach unglaubwürdig, wenn jemand – noch dazu im Mittelalter! – dreißig Jahre und fünf Bände lang immer ganz vorn kämpft und jedes Mal am Ende eines Buches gerade so mit knapper Not davonkommt.
    Das ist übrigens ein Argument, bei dem mir die Mehrzahl der Leser – wenngleich schweren Herzens und mit einem Seufzer – dann zustimmt.
    An dieser Stelle muss ich gestehen, dass ich Christians Tod von langer Hand vorausgeplant und deshalb in Lukas schon im ersten Band einen würdigen Nachfolger etabliert hatte.
    Manche Handlungsstränge entwickeln beim Schreiben ein unerwartetes Eigenleben, vieles wächst auch erst im Zuge der Recherchen, aber das Grundgerüst für den gesamten, mehr als drei Jahrzehnte umfassenden Handlungsbogen stand bereits von Anfang an fest. Das war nicht nur vorgegeben durch die historischen Ereignisse, sondern ich entschied auch von Anfang an, wohin sich meine Hauptfiguren entwickeln würden. Man muss schließlich wissen, welche Geschichte man erzählen will, damit die Entwicklung der Charaktere schlüssig und nachvollziehbar bleibt. Sie können also jetzt schon tüfteln, welche Andeutung und welche Randfigur aus den ersten Romanen bis zum Ende der Geschichte noch eine besondere Bedeutung erlangen wird!
    Ich erinnere mich noch genau an den Tag, als ich zum ersten Mal zu Gast im Verlag Droemer Knaur in München war und in einer Runde mit meiner Lektorin und zwei weiteren Mitarbeiterinnen saß. Das war kurz nach Erscheinen meines Romanerstlings, und das Manuskript für den zweiten Band war schon fast fertig.
    Irgendwann zwischen Pasta und Espresso beim Mittagessen rückte ich damit heraus: »Übrigens habe ich vor, Christian am Ende des dritten Bandes sterben zu lassen.«
    Entsetzte Blicke und betretenes Schweigen.
    Bis ich sagte: »Wir haben ja noch Lukas …«
    Begreifen, erleichtertes Aufatmen und Lächeln in der Runde. »Ja, wir haben ja noch Lukas …«
    Es klingt vielleicht ein bisschen gemein, so das Todesurteil für den eigenen Romanhelden gefällt zu haben. Aber wie gesagt, es wäre vollkommen unglaubwürdig, ihn über die ganzen dreißig Jahre so viele gefährliche Situationen überleben zu lassen – noch dazu jemanden, der so kompromisslos ist wie Christian.
    Lukas hingegen war nicht einfach nur als Ersatz für ihn geplant, denn er ist in vielerlei Hinsicht anders als Christian, was im vierten Band eine größere Rolle spielen wird. Er und Marthe müssen ihr Verhältnis zueinander dort nun neu bestimmen.
    Ich werde auch immer wieder gefragt: Hat Christian wirklich gelebt? Es gab ihn, doch wir wissen nichts über die historische Figur. Es existieren allerdings ein paar Anhaltspunkte, nach denen ich diesen Charakter erschaffen habe.
    Bei der Besiedlung der östlichen Marken im 12 . Jahrhundert waren die Siedlerführer – die Lokatoren – in der Regel Ministeriale. Nach ihnen wurde zumeist das Dorf genannt, das sie gegründet hatten, und sie bekamen es zum Lohn für ihre Mühe als Lehen. Freiberg hieß zunächst Christiansdorf nach seinem Gründer. Damit haben wir schon den Namen der Hauptfigur und ihren vermutlichen Stand.
    Ein Dorf als Lehen genügte aber in der Regel nicht, damit ein Ritter sich Rüstung, Waffen, Pferde und Knappen leisten und seine Verpflichtungen gegenüber seinem Lehnsherrn erfüllen konnte. Wenn er also die Mühe auf sich nahm, Hunderte Meilen in der Ferne Siedler zu werben und sie in die Mark Meißen zu führen, damit sie dort dem Urwald Land abrangen, muss das für ihn eine Aufstiegschance gewesen sein. Das heißt, er war bestimmt nicht vermögend. Er musste in der Lage sein, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die ihm ins Ungewisse folgten, und sie sicher geleiten. Deshalb musste er wohl im wörtlichen wie im übertragenen Sinne Führungsqualitäten gehabt haben. Denn für die Siedler, die normalerweise nicht weiter als ein, zwei Tagesmärsche aus ihrem Dorf herauskamen, war es eine Entscheidung auf Leben und Tod, mit ihm Richtung Osten zu ziehen. Sie wussten nicht, ob das stimmte, was ihnen dieser fremde Ritter versprach. Sie wussten nicht, wie lange sie unterwegs sein würden, wie lange man überhaupt unterwegs sein konnte auf dieser Scheibe Erde, bis man an die Kante kam. Sie mussten wochenlang durch fremdes Gebiet und dunkle Wälder, in denen wilde Tiere und wer weiß was für Ungetüme hausten. Und sie wussten nicht, ob sie rechtzeitig ankommen würden, um noch etwas zu roden und zu säen, damit sie den ersten
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