Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Eisprinzessin schläft

Die Eisprinzessin schläft

Titel: Die Eisprinzessin schläft
Autoren: Camilla Läckberg
Vom Netzwerk:
sie starb.«
    Vera schaute blicklos vor sich hin, und es schien, als würde sie überhaupt nichts von dem hören, was Patrik sagte. »Es ist merkwürdig. Erst jetzt begreife ich wirklich, daß ich einem anderen Menschen das Leben genommen habe. Alexandras Tod war nie richtig real für mich, aber das Kind von Anders . Ich kann es fast vor mir sehen .«
    »Warum mußte Alex sterben?«
    Vera hob abwehrend die Hand. Sie würde erzählen, aber in ihrem eigenen Tempo. »Es hätte einen Skandal ergeben. Alle hätten mit dem Finger auf ihn gezeigt und sich das Maul zerrissen. Ich habe damals getan, was ich für richtig hielt. Ich konnte nicht ahnen, daß er dennoch zum Gegenstand von Spott und Hohn werden würde. Daß mein Schweigen ihn von innen auffressen und ihm alles, was von Wert war, nehmen würde. Es war ja so einfach. Karl-Erik kam zu mir und erzählte, was geschehen war. Er hatte, bevor er gekommen war, mit Nelly gesprochen, und sie waren sich darin einig, daß nichts Gutes dabei herauskommen würde, wenn das ganze Dorf von der Sache erfuhr. Es sollte unter uns bleiben, und wenn ich wüßte, was das Beste für Anders sei, würde ich auch schweigen. Also schwieg ich. Schwieg all die Jahre. Und jedes weitere Jahr raubte Anders noch mehr als das Jahr davor. Er verkümmerte in seiner eigenen privaten Hölle, und ich wollte meinen Anteil daran nicht sehen. Ich räumte hinter ihm auf und griff ihm unter die Arme, so gut es ging, aber das einzige, was ich nicht tun konnte, war, das Schweigen ungeschehen zu machen. Schweigen läßt sich niemals zurücknehmen.«
    Sie hatte ihren Kaffee in gierigen Zügen ausgetrunken und hielt Patrik die Tasse fragend hin. Er stand auf, holte die Kanne und schenkte ihr nach. Es schien, als würde das Normale am Kaffeetrinken ihr helfen, die Wirklichkeit festzuhalten.
    »Manchmal glaube ich, daß das Schweigen schlimmer war als die Übergriffe. Wir haben nie darüber geredet, nicht einmal hier in diesen vier Wänden, und ich habe erst jetzt begriffen, was das aus ihm gemacht haben muß. Vielleicht hat er mein Schweigen als Vorwurf ausgelegt. Das ist das einzige, was ich nicht ertragen kann. Wenn er geglaubt haben sollte, daß ich ihm an dem, was geschehen ist, die Schuld gegeben habe. Dieser Gedanke ist mir nie gekommen, nicht für eine Sekunde, aber ich werde jetzt nicht mehr erfahren, ob er es gewußt hat.«
    Einen Moment lang wirkte es, als würde ihre starre Maske aufbrechen, aber dann drückte Vera wieder den Rücken durch und zwang sich weiterzureden. Patrik konnte sich vorstellen, welch ungeheure Anstrengung sie das kostete.
    »Mit den Jahren haben wir eine Art Gleichgewicht gefunden. Auch wenn das Leben für uns beide erbärmlich war, wußten wir, was wir hatten und woran wir bei dem anderen waren. Natürlich wußte ich, daß er Alex noch ab und zu traf und daß sie eine merkwürdige Zuneigung zueinander verspürten, aber ich habe trotzdem geglaubt, daß wir weitermachen könnten wie bisher. Dann ließ Anders mal fallen, daß Alex alles erzählen wollte, was mit ihnen passiert war. Daß sie alle alten Leichen aus dem Keller räumen wollte, so, glaube ich, sagte er. Er selber klang fast gleichgültig, als er das erwähnte, aber mir war, als hätte man mir einen elektrischen Schlag versetzt. Das würde alles ändern. Nichts mehr wäre wie zuvor, wenn Alex nach so vielen Jahren die alten Geheimnisse ans Licht zerrte. Was sollte das für einen Nutzen bringen? Und was würden die Leute sagen? Außerdem, selbst wenn Anders so tat, als machte ihm das nichts aus, so kannte ich ihn doch besser, und ich glaube, er wollte ebensowenig wie ich, daß sie all das öffentlich machte. Ich kenne - kannte meinen Sohn.«
    »Also sind Sie zu ihr gegangen.«
    »Ja, ich bin an jenem Freitagabend zu ihr gegangen und habe gehofft, sie zur Vernunft zu bringen. Wollte ihr verständlich machen, daß sie nicht einfach einen Beschluß fassen konnte, der uns alle betraf.«
    »Aber sie hat es nicht eingesehen.«
    Vera lächelte bitter. »Nein, das hat sie nicht.«
    Vera hatte auch ihre zweite Tasse geleert, bevor Patrik kaum die Hälfte seines Kaffees ausgetrunken hatte, aber jetzt stellte sie die Tasse einfach weg und faltete die Hände auf dem Tisch.
    »Ich habe sie angefleht. Habe ihr erklärt, wie schwer es für Anders werden würde, wenn sie erzählte, was passiert war, aber sie hat mir direkt in die Augen gesehen und behauptet, ich denke nur an mich selber, nicht an Anders. Er wäre froh, wenn es endlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher