Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder
Autoren: Manfred Böckl
Vom Netzwerk:
würde; daher rannte er jetzt um die Hausecke, um das Gebäude zwischen sich und den heranschwirrenden Flügler zu bringen. Sein Rucksack mit der Stahlkartusche prallte gegen eine Mauerkante; ein dumpf dröhnender Ton erklang – fast gleichzeitig schoß der Helikopter über den First des halb eingestürzten Hausdaches, schien mit einem Mal in der Luft zu taumeln, stieg dann wie im Sprung sieben, acht Meter höher und verharrte unter ohrenbetäubendem Motorenlärm und schmetterndem Peitschen der Rotorblätter beinahe bewegungslos über dem Giebel der Hausruine.
    Unwillkürlich blieb der Alte stehen; seine Knie zitterten, entsetzt starrte er auf die Flugmaschine. In der kuppelförmigen Kabine des Helikopters konnte er den Piloten ausmachen – und neben diesem Schwarzuniformierten den Glotzäugigen, der ihn einst in den Ratskeller gebracht hatte. Beide Männer feixten höhnisch, und damit wußte der Grauhaarige nun endgültig, daß sie es auf ihn abgesehen hatten.
    Der Alte duckte sich und verspürte den Drang, sich bäuchlings zu Boden zu werfen und den Kopf unter den gekreuzten Armen zu verbergen. Dies hatte ihm früher, im toten Gebirge, mehr als einmal das Leben gerettet, wenn eine der mörderischen Windhosen nahe an ihm vorbeigerast war. Aber die tobenden Windwirbel waren nicht menschlich; sie legten es nicht gezielt auf die Vernichtung schwachen Lebens an. Für die Insassen des Flüglers hingegen, der Grauhaarige spürte es mit unverbrüchlicher Gewißheit, galt dies keineswegs. Die Männer in der Flugmaschine wollten Rache an ihm nehmen, weil er aus der Stadt geflohen war – und jede Sekunde konnte der Flügler gleich einem Raubvogel auf ihn herabstoßen.
    Gehetzt schaute der Alte nach links. Dort, nur vierzig, fünfzig Schritte entfernt, wuchs ein Steilhang empor, der von einer engen Schlucht durchschnitten wurde. An einer Stelle ragten mächtige Felstrümmer aus der Kluftwand; außerdem waren ein wenig oberhalb dieser Schroffen irgendwann Dutzende von großen Bäumen niedergebrochen, und die schmutziggrauen Baumstämme, die wie Petrefakte wirkten, bildeten eine Art von schräg abfallendem Schutzdach über dem betreffenden Teil der Klamm.
    Der Grauhaarige rannte los; unmittelbar darauf torkelte der Helikopter, beschrieb mit gesenkter Pilotenkanzel eine schwankende Vierteldrehung und machte einen abrupten Satz gen Himmel. Der Alte bemerkte es nicht; mit eingezogenem Kopf keuchte er dahin, um die Schlucht zu erreichen. Der schwere Rucksack machte ihm das Laufen in der dünnen Luft zur Qual; mehrmals stolperte er und wäre um ein Haar hingeschlagen. Endlich taumelte er in den Klufteinschnitt, warf einen hastigen Blick zurück – und sah, wie der Flügler im Sturzflug aus der Höhe herunterkam.
    Todesangst befiel den Grauhaarigen und trieb ihn weiter. Seine letzten Kräfte aufbietend, gelangte er bis zu den Felstrümmern, die aus der Schluchtwand vorsprangen. Dort gaben seine Knie nach; er brach zusammen, raffte sich jedoch sofort wieder auf und kroch jetzt auf allen vieren bergan, bis er das schützende Schrägdach der niedergestürzten, versteinert wirkenden Baumstämme erreichte.
    Kaum hatte sich der Alte unter dieses Schutzdach geflüchtet, hörte er das Rotorenpeitschen des Hubschraubers nur noch gedämpft. Ein paar Sekunden lang gab er sich, vor Erschöpfung halb betäubt, dem trügerischen Gefühl hin, in Sicherheit zu sein – aber dann schreckte er aus seinem mentalen Selbstbetrug auf, denn das Flügelpeitschen des Helikopters wurde wieder lauter; so laut, daß der Verhau der schmutzfarbenen Baumstämme über dem Grauhaarigen zu erbeben schien.
    Im nächsten Moment mischte sich ein trockenes Knattern in den Maschinenlärm: ein Stakkato rasend schnell hintereinander erfolgender Explosionen. Zugleich hagelte es glühendheiß zwischen die Kluftwände; die Geschosse zerfetzten das petrifizierte Holz über dem Kopf des Alten, ließen kleine Staubfontänen aus dem sterilen Erdboden aufstieben und rissen Gesteinssplitter aus den Felsschroffen.
    In Panik hetzte der Grauhaarige erneut los; ein wild umhersirrendes Stahlgeschoß streifte seinen Rucksack; der Aufprall warf den Alten auf die Knie – und im Sturz gewahrte er halbrechts von sich einen mannshohen Granitfindling, an dessen Sockel ein Erdloch klaffte.
    Mit pfeifendem Atem robbte der Grauhaarige dorthin und wühlte sich in die Höhlung. Tiefer und tiefer drang er in das Loch vor, bis er ganz darin verschwunden war. Als er es geschafft hatte, befreite er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher