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Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman

Titel: Die Dunklen Wasser Des Todes: Roman
Autoren: Anne Perry , K. Schatzhauser
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Bruchstücke von Ziegeln lagen auf einem zerstörten Mosaikfußboden, und hochrankende Schlingpflanzen bedeckten alle Türen. Nur ein kleiner Turm stand noch vergleichsweise unversehrt, auch wenn an ihm offensichtlich Flammen emporgezüngelt hatten. Leo sah sich schweigend und mit bleichem Gesicht um, während Simonis ein Schluchzen unterdrückte.
    Hier hatten sie das Entsetzen des Jahres 1204 sozusagen greifbar vor sich, als liege der Einfall der Mordbrenner erst wenige Jahre und nicht mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Jetzt verstanden sie so manches andere, was sie in den letzten Tagen gesehen hatten: zerstörte Kaianlagen und ganze Straßenzüge mit Häusern, die nach wie vor in von Unkraut überwucherten Trümmern lagen. Das war die Ursache für die Armut in einer Stadt, die man auf den ersten oberflächlichen Blick für die reichste der Welt halten konnte. Zwar waren ihre Bewohner schon vor über einem Jahrzehnt aus dem Exil zurückgekehrt, doch die Wunden der Eroberung mit all ihren grauenhaften Begleiterscheinungen waren noch längst nicht verheilt.
    Anna wandte sich ab, als sie spürte, wie Entsetzen sich ihrer bemächtigte. Trotz der kräftigen Frühlingssonne überlief sie ein kalter Schauer hier im Windschatten, wo es eigentlich hätte warm sein müssen.
    Bis zum Ende der Woche hatten sie ein Haus gefunden. Es lag in einer angenehmen Wohngegend an einem Hang nördlich der Mese zwischen den beiden großen Mauern. Das Haus war klein, befand sich aber in gutem Zustand und hatte schöne geflieste Böden. Vor allem der Innenhof mit
seinem einfachen Mosaikboden und den Weinreben, die bis zum Dach emporrankten, gefiel Anna. Aus einigen der Fenster konnte man den Lichtschimmer über dem Goldenen Horn sehen, kleine blaue Flecken zwischen den Dächern, die ihr den Eindruck von Unendlichkeit vermittelten und ihr fast ein Gefühl gaben, als könne sie fliegen.
    Trotz einiger abschätziger Bemerkungen über die Küche, die Simonis machte, erkannte Anna an der Art, wie sie sich alles genau ansah und die Marmorflächen, das tiefe Wasserbecken und den schweren Tisch berührte, dass sie ihr zusagte. Daneben lag ein kleiner Vorratsraum mit Regalen und Schubladen. Vor allem aber gab es, wie in allen besseren Stadtteilen, reichlich sauberes Wasser, das allerdings leicht salzig schmeckte.
    Das Haus war geräumig und enthielt außer dem Esszimmer, einem Behandlungszimmer und einem Vorraum, in dem Patienten warten konnten, so viele Räume, dass jedem der drei ein eigener Schlafraum zur Verfügung stand. Darüber hinaus gab es noch eine Kammer, deren Tür Leo mit einem Vorhängeschloss sicherte. Dort wollte Anna ihre Kräuter, Salben, Tinkturen sowie ihre Skalpelle, Nadeln und dergleichen aufbewahren. Sie stellte einen hölzernen Schrank mit mehreren Dutzend kleinen Schubladen hinein, die ihre Kräuter, Blätter und Wurzeln aufnehmen sollten. Um Verwechslungen vorzubeugen, beschriftete sie jede einzelne Schublade.
    Doch trotz des Hinweisschildes am Eingang, das ihren Beruf anzeigte, kamen keine Patienten. Also musste sie dafür sorgen, dass ihre Anwesenheit und ihre Fähigkeiten den Menschen in der Stadt bekannt wurden. Mit diesem Vorhaben fand sie sich eines Tages um die Mittagszeit im grellen Sonnenlicht und scharfen Wind auf den Stufen vor
einer Schenke wieder. Sie öffnete die Tür und trat ein, schritt durch die Menge und sah einen Tisch mit einem freien Platz. Alle anderen waren von Männern besetzt, die aßen und erregt miteinander sprachen. Zumindest einer von ihnen war ein Eunuch, ein hochgewachsener Mann mit langen Armen, weichen Gesichtszügen und einer zu hohen Stimme, die deutlich zeigte, mit wem man es zu tun hatte.
    »Darf ich mich setzen?«, fragte sie.
    Während keiner der anderen auf ihre Frage achtete, machte der Eunuch eine einladende Handbewegung. Vielleicht freute er sich, seinesgleichen zu sehen.
    Ein Kellner kam und zeigte, was es zu essen gab: kleingeschnittenes Schweinefleisch in einer Tasche aus Weizenbrot.
    Sie dankte dem Kellner und sagte in die Runde: »Ich heiße Anastasios Zarides und bin Arzt. Ich bin gerade frisch in das Haus mit der blauen Tür eingezogen, das gleich oben auf dem Hügel steht.«
    Einer der Männer zuckte die Achseln und stellte sich ebenfalls vor. Gutmütig sagte er: »Ich werd dran denken, wenn ich mal krank bin. Falls Ihr Wunden nähen könnt, bleibt Ihr am besten gleich hier. Sobald wir mit unserem Streit fertig sind, gibt es bestimmt Arbeit für Euch.«
    Sie war nicht
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