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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin
Autoren: Caren Benedikt
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ließ sich dann mit seinem ganzen Gewicht nach vorne auf seinen Widersacher fallen. Anna sah, wie der Dolch bis zum Heft in den Leib des Wachmannes eindrang, dieser zu würgen und Blut zu spucken begann und sich dann nicht mehr bewegte. Bruder Hermannus ließ sich vom Körper des Toten zu Boden gleiten und blieb erschöpft neben ihm liegen.
    Anna schlug das Herz bis zum Hals. Sie sprang auf und hastete zur Tür.
    Doch schneller, als sie es für möglich gehalten hatte, kam Bruder Hermannus wieder auf die Beine, packte sie an den Haaren und riss sie zurück.
    Wie von selbst fuhr ihr Arm kraftvoll in die Höhe, sie drehte sich zu dem völlig Verdutzten um und stach ihm die Holzlatte mitten ins rechte Auge.
    Der Schrei, den der Mönch ausstieß, hatte nichts Menschliches mehr an sich.
    Anna stürmte aus dem Stall. Sie rannte, ohne zu wissen, wo sie war und in welche Richtung sie sich wenden musste. In diesem Teil der Stadt war sie noch nie zuvor gewesen, und einen Augenblick lang zweifelte sie sogar daran, ob sie sich überhaupt noch in Bremen befand.
    Ihre nackten Füße flogen nur so über den eiskalten Boden dahin. Einige Male sah sie sich um, doch niemand kam ihr nach. Es wäre aber auch einem Wunder gleichgekommen, hätte ihr Bruder Hermannus in seinem Zustand noch zu folgen vermocht.
    Als sie an einer Weggabelung ankam und nach rechts sah, meinte sie, in der Ferne Wasser ausmachen zu können. Anna sandte ein stilles Gebet gen Himmel, dass es die Weser sein möge, und rannte weiter. Kurz sah sie sich um. Fast blieb ihr das Herz stehen, weil sie glaubte, in einiger Entfernung Helme erkannt zu haben, der ihr folgte. Dann wurde sie nochmals schneller und rannte um ihr Leben.
    Bald erkannte sie die ersten Häuser und wusste wieder, wo sie sich befand. Mit einem unbeschreiblichen Gefühl der Erleichterung hielt sie nun auf Margrites Haus zu und klopfte wenig später wie wild an deren Tür.
    »Macht auf! Margrite! Schnell, öffnet mir!«
    Sie hämmerte so heftig, dass sie gar nicht hörte, wie der Riegel von innen zurückgeschoben und der Einlass freigegeben wurde.
    »Anna, Kind! Um Himmels willen!« Anderlin stand in der Tür und schaute sie besorgt an. »Was ist denn geschehen?«
    Sie huschte hinein, schlug die Tür ins Schloss und schob den Riegel vor. Völlig außer Atem blieb sie stehen, unfähig, etwas zu sagen.
    »Anna!« Margrite war herbeigekommen und blickte ängstlich an ihr hinab. Annas Kleid war völlig zerrissen, sie trug keine Schuhe, und ihre Arme waren voller Kratzer, die Hände blutüberströmt. »Bist du verletzt?«
    Die Jüngere schüttelte den Kopf, brachte aber noch immer kein Wort heraus.
    »Komm herein und setz dich erst mal. Und dann berichte uns, was geschehen ist.«
    Margrite führte sie in die Küche. Anderlin folgte den beiden und setzte sich auf die Bank ihnen gegenüber.
    Zitternd hielt Anna den Becher zwischen ihren Händen, den Margrite ihr gereicht hatte, und nahm vorsichtig einen Schluck.
    »Mein Vater … er ist hier und hat mich verschleppt. Ich konnte fliehen, doch er wird kommen, um mich zu holen.«
    »Was?«
    »Ich weiß nicht, weshalb er mich nicht gleich getötet hat.«
    »Ich dachte, deine Eltern seien tot. Und weshalb sollte dein Vater dich töten wollen?« Anderlin kniff verständnislos die Augen zusammen.
    »Das ist jetzt unwichtig«, entschied Margrite, die ihr Versprechen Anna gegenüber gehalten und Anderlin niemals erzählt hatte, was Anna ihr über ihre Vergangenheit anvertraut hatte. »Wir müssen dich so schnell wie möglich ins Haus deines Großvaters bringen. Danke dem Allmächtigen dafür, dass wir gerade eben nach Hause gekommen sind, sonst hättest du vor verschlossener Tür gestanden.«
    Ein Poltern im hinteren Teil des Hauses ließ die drei aufschrecken.
    »Habt ihr das gehört?« Anderlin war aufgestanden. »Ich gehe nachsehen.«
    »Nein!«, rief Anna. »Tu das nicht, Anderlin. Das ist er, ich weiß es.«
    »Wie sollte er dich gefunden haben?«
    »Er muss meine Flucht beobachtet haben, jedenfalls ist er mir auf dem Weg hierher gefolgt, ich weiß es, weil ich mich einmal umgedreht und ihn gesehen habe. Aber bitte, sieh nicht nach. Er wird dich töten!«
    Margrite blickte ihren Mann besorgt an. »Anna hat recht. Geh nicht. Lass uns lieber fliehen.«
    Vorsichtig ging sie zur Küchentür, öffnete sie leise und prüfte, ob jemand auf dem Korridor zu sehen war. Dann bedeutete sie den anderen, ihr leise zu folgen.
    Lautlos schlichen sie über den Flur in Richtung
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