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Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)

Titel: Die dreißig tolldreisten Geschichten - 1 (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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kommt man nicht wieder heraus, so herrlich und lustig ist sie. Und wahrlich, ich schuldete diese kindliche Huldigung, diesen Hymnus aus tiefstem Herzen, dieser meiner Geburtsstraße, der nichts fehlt als die Standbilder meines guten Lehrers Rabelais und des Meisters Cartesius, den aber die Eingeborenen nicht zu kennen scheinen.

     
    Ich komme auf den genannten Carandas zurück. Er wurde seit seiner Rückkehr aus Flamland sehr gefeiert; nicht nur von seinem Gevatter, sondern auch noch von vielen andern, denen er wegen seiner Lustigkeit und drolligen Einfälle ein lieber Geselle war. Seine alte Liebe schien er vergessen zu haben, er war voller Freundschaft gegen die Tascherette und den Pfaffen, herzte und küßte die Kinder, und wenn er mit der Frau Färberin einmal allein war, erinnerte er sie scherzend an die Nacht mit der Mistgrube als an gute Spaße, worüber man lachen muß.
    »Ihr habt mich freilich schön zum Narren gehalten.«
    »Ist Euch ganz recht geschehen«, erwiderte sie lachend, »denn wenn Ihr Euch noch einen kleinen Zipfel von Zeit hättet nasführen lassen aus lauter Liebe und foppen lassen und zum Narren halten, wäre es Euch so gut wie den andern am Ende gelungen, mich herumzubringen.«
    Dazu lachte Carandas, im Innern aber kochte er vor Wut, und beim Anblick des Schranks, worin er um ein Haar krepiert wäre, verbiß er sich nur um so tiefer in seine Wut, als die schöne Färberin unterdessen noch schöner geworden war, wie alle, die sich im Jungbrunnen baden und darin verjüngen, welcher Jungbrunnen aber nicht andres ist als die Liebe.
    Heimlich und noch immerfort auf dem giftigen Ei seiner Rache brütend, studierte der Mechanikus aufs eifrigste die hahnreiliche Naturgeschichte seines Gevatters, als welche in jedem Hause wieder eine andere ist; denn obgleich alle Liebschaften einander gleichen so wie alle Menschen untereinander, so hat doch die höhere und wahre Wissenschaft längst festgestellt, daß jede besondere Liebe, zum Glück der Frauen, auch ihre ganz besondere Physiognomie hat, ebenso wie, wenn auch nichts so sehr dem Menschen gleicht als der Mensch, dennoch jeder Mensch verschieden ist von jedem andern Menschen. Das klingt sonderbar und erklärt doch allein die tausend Launen der Weiber, die unter Leiden und Freuden suchen und immer wieder suchen und zuletzt selber nicht wissen, warum sie den einen dem andern vorziehen. Darum sind sie so wankelmütig, so voller Widersprüche und Unruhe. Soll man sie deswegen schelten? In der ganzen Natur ist alles Wandel und Wechsel, und ihr wollt, daß das Weib sich gleichbleiben soll? Wißt ihr, ob das Eis wirklich kalt ist? Nichts wißt ihr, und so könnt ihr auch nicht wissen, ob die Hahnreischaft eines Ehemanns nicht vielleicht eine höhere Fügung ist, um gelegentlich ein Gehirn hervorzubringen, das ein wenig besser ausstaffiert sei als andere Gehirne. Was studiert ihr die Wolken und die Winde unter dem Himmel? Ich versichere euch, daß man meinem konzentrischen Buche hier noch einmal eine tiefe Philosophie nachrühmen wird. Ja, ja, ihr dürft mir glauben, ein Apotheker, der Rattengift verkauft, ist ein größerer Philosoph als die, so sich einbilden, sie könnten der Natur die Röcke aufheben. Diese Natur ist aber ein stolzes und launisches Frauenzimmer, das sich nicht jedem zeigt und zu jeder Stunde. Versteht ihr? Sie gehört nicht umsonst in allen Sprachen der Welt zum weiblichen Geschlecht als ein Wesen, dem nichts so eigen ist als Veränderlichkeit und die Lust, zu verblüffen und zu überraschen.
    Carandas kam bald zu der Überzeugung, daß von allen Hahnreitänzen der ekklesiastische bei weitem der sinnreichste und bestbehütete sei. Folgendermaßen aber hatte die gute Färberin ihre Sache einzufädeln gewußt.
    Jeden Samstagabend begab sie sich nach ihrem Weingut Grenadière-les-Saint-Cyr, während ihr Mann die Wochenarbeit vollendete, die Rechnungen prüfte, die Gehilfen bezahlte. Am Sonntagmorgen machte auch er sich auf den Weg nach dem Weingut, wo er ein vortreffliches Frühstück sowie seine Frau in bester Laune antraf. Und stets brachte er den Priester mit. Der verdammte Pfaffe war aber immer schon am Abend auf einem Kahn übergefahren, um der Färberin, die ein wenig fürchtig war, Gesellschaft zu leisten, damit sie nachher ruhig schlafen konnte, worauf der Kerl sich vortrefflich verstand. Morgens in der Frühe kehrte dann der hübsche Beschwörer des bösen Nachtmahr-Ungeziefers in seine Wohnung zurück, wo ihn der Färber in seinem
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