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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel
Autoren: Colleen McCoullough
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entsetzt gewesen. Bei den Clearys kam es mindestens einmal pro Woche vor, daß jemand heftig blutete.
    »Ihre Augen, ihre Augen!« flüsterte Meggie und weigerte sich, die Puppe anzusehen.
    »Sie ist wunderschön, Meggie«, versicherte er. Er hielt sie noch in den Armen, unmittelbar vor sich ihr Haar, prachtvolles Haar, eine solche Fülle, eine solche Farbe.
    Erst nach einer kleinen Ewigkeit brachte er sie dazu, wieder einen Blick auf Agnes zu werfen. Und eine weitere kleine Ewigkeit verging, bis er sie dazu überreden konnte, in das aufklaffende Loch des Puppenkopfs zu schauen. Er zeigte ihr, wie der Mechanismus der Augen funktionierte, wie sorgfältig alles gearbeitet war, damit sie sich, je nachdem, öffneten oder schlossen.
    »Komm«, sagte er schließlich, »es wird Zeit, daß du hineingehst.« Mit Schwung hob er sie hoch, nahm auch die Puppe. »Wir werden Mum bitten, das bei ihr wieder in
    Ordnung zu bringen, nicht? Wir werden ihre Kleider waschen und bügeln und das Haar wieder befestigen. Und die Perlen ... na, damit mach’ ich richtige Nadeln, damit sie nicht so einfach aus dem Haar rausfallen können und du Agnes prima frisieren kannst.«
    Fiona Cleary schälte in der Küche Kartoffeln. Sie war eine sehr hübsche Frau, zart, ein wenig unter Mittelgröße, doch ihr Gesicht wirkte ziemlich hart und streng. Sie besaß eine ausgezeichnete Figur mit immer noch zierlicher Taille, trotz der sechs Kinder, die sie zur Welt gebracht hatte. Sie trug ein graues Baumwollkleid, das so lang war, daß sein Saum den makellos sauberen Boden berührte. Zum Schutz hatte sie sich eine enorm große, weiße und gestärkte Schürze vorgebunden. Das Trägerband schlang sich hinten um ihren Hals, auf dem Rücken in Höhe der Taille sah man eine perfekt gebundene, ein wenig steif abgespreizte Schleife. Von morgens bis abends war dies hier ihr Reich, die Küche und außerdem der Garten hinter dem Haus; und ihr Arbeitsleben glich einem kreisförmigen Pfad, der in sich selbst mündete und den sie unentwegt mit ihren derben, schwarzen Stiefeln abschritt: vom Herd zur Wäsche, von dort zum Gemüsegarten, dann zur Wäscheleine, und wieder zurück zum Herd. Sie legte ihr Messer auf den Tisch und starrte Frank und Meggie an. Ihr schöngeformter Mund krümmte sich an den Winkeln abwärts. »Meggie, heute morgen habe ich dich dein Sonntagskleid anziehen lassen unter der Bedingung, daß du’s nicht schmutzig machst. Nun sieh sich das bloß mal einer an! Was für ein kleines Dreckferkel bist du doch!«
    »Mum, es war nicht ihre Schuld«, erklärte Frank. »Jack und Hughie haben ihr die Puppe weggenommen, um zu sehen, wie sich die Arme und die Beine bewegen lassen. Aber das kann man alles wieder in Ordnung bringen, meinst du nicht? Ich hab’s Meggie versprochen.« »Laßt mal sehen.« Fee streckte die Hand nach der Puppe aus. Sie war eine eher wortkarge Frau.
    Niemand kannte ihre Gedanken, nicht einmal ihr Mann. Ohne Klage, ohne Widerrede tat sie, was immer er ihr befahl, es sei denn, sie hatte sehr gewichtige Gegengründe. Den Jungen war schon der Verdacht gekommen, sie habe vor Daddy einen genauso großen Heidenrespekt wie sie selbst. Aber falls das zutraf, so verbarg sie es wie unter einer schützenden Hülle: hinter einer Außenfront von Ruhe, Beherrschtheit und Strenge. Nie lachte sie, nie verlor sie die Fassung.
    Nachdem sie die Puppe eingehend betrachtet hatte, legte sie sie auf die Küchenanrichte beim Herd und blickte zu Meggie. »Morgen früh werde ich ihre Kleider waschen und sie frisieren. Frank könnte ihr vielleicht heute abend nach dem Tee das Haar wieder ankleben und sie baden.«
    Ihre Stimme klang eher sachlich als trostvoll. Meggie nickte und lächelte unsicher. Manchmal wünschte sie sich so sehr, ihre Mutter lachen zu hören, doch stets hoffte sie vergeblich darauf. Sie spürte, daß da etwas Besonderes war, das sie beide miteinander verband - etwas, das Daddy und die Jungen nicht mit ihnen teilten. Und doch: Es schien keinen Weg zu geben, der vorbeiführte an diesem abweisenden Rücken, den nie ruhenden Füßen. Ein gleichsam abwesendes Nicken war oft ihre einzige Antwort, während sie in rastlosem Hin und Her vom Tisch zum Herd, vom Herd zum Tisch wechselte und arbeitete, arbeitete, arbeitete.
    Außer Frank konnte keines der Kinder ahnen, daß Fee immer und ewig müde war, oft knochentief müde. Es gab soviel zu tun, doch an Geld fehlte es und an Zeit. Und nur ein Paar Hände war da, um alles zu erledigen. Sie sehnte den
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