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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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weitere Bündel in der Tasche lagen, und noch etwas, ein Schimmern von poliertem Holz.
    Er befühlte die Karten behutsam, wie eine Bibel.
    »Eine sichere Sache«, sagte er. »Siehst du, man braucht sie bloß zu tarnen – etwas Albernes auf das Einwickelpapier zu schreiben, zum Beispiel ›Vortrag vor der Temperenzbewegung – Teil 1, 2, 3‹. Dann denkt kein Mensch daran, sie zu stehlen oder auch nur ins Magazin zu stecken und sich zu vergewissern.« Er nahm den dicken Kartenstoß, hielt den Daumen an eine Ecke und zog die Karten mit einem scharfen, spröden Geräusch daran vorbei, wie ein Spieler, der ein neues Kartenspiel durch die Finger schnurren lässt. »Ich habe eine Menge Kapital in diese Dinger gesteckt«, sagte er. »Wochenlange Arbeit der besten Kinoleute in Manchester. Ausschließlich nach meinem Entwurf, möchte ich hinzufügen. Eine schöne Sache, sage ich dir. Durchaus künstlerisch – in gewisser Weise. Du wirst es bald sehen.«
    Er schloss den Mantelsack und stand auf. Nachdem er das Kartenbündel in seine Manteltasche gesteckt hatte, beugte er sich über einen Lattenverschlag und zog eine dicke Glasröhre heraus. Er blies Staub davon, dann fasste er mit einer Spezialzange ein Ende. Das Glas zerbrach mit einem dumpfen Platzen – in der Röhre war ein frischer Klumpen Karbid. Mick zog ihn heraus und drückte ihn sanft in die Fassung eines Kalklichtbrenners, eines großen, tellerförmigen Geräts aus rußigem Eisen und glänzendem Zinn. Dabei summte er vor sich hin. Dann drehte er am Hahn einer Schlauchleitung, roch daran, nickte, drehte einen zweiten Hahn auf und hielt die Kerzenflamme daran.
    Sybil schrie auf, als ein blendender Lichtblitz vor ihren Augen aufflammte. Das grellweiß brennende Gas zischte, heiße blaue Punkte trieben vor ihren Augen. Mick schmunzelte. »Besser«, bemerkte er. Er richtete das brennende Kalklicht auf den Bühnenspiegel, dann begann er, diesen mit den Hebeln und Zahnrädern zu justieren.
    Sybil zwinkerte, blickte sich um. Unter der Bühne war es feucht, muffig und eng, es roch nach Ratten und war die Art Ort, wo ein Hund oder ein armer Teufel sterben mochte. Am Boden lagen zerrissene und vergilbte Plakate fragwürdiger Possen und Schwänke wie »Dieser Schlingel Jack« und »Die Taugenichtse von London«. In einer Ecke lagen zusammenge knüllt die »Unaussprechlichen« einer Dame. Aus ihrer kurzen, unglücklichen Zeit als Bühnensängerin hatte Sybil eine Vorstellung davon, wie diese verschämt als Unterwäsche zu tragenden Beinkleider an diesen Ort gekommen sein mochten.
    Ihr Blick folgte den Dampfrohren und straff gespannten Drähten zum schimmernden Leib der Babbage-Maschine, einem kleinen Kinotrop-Modell, nicht größer als Sybil selbst. Im Gegensatz zu allem anderen im Garrick-Theater war die Maschine augenscheinlich in sehr gutem Zustand. Sie ruhte auf vier Mahagoniklötzen. Boden und Decke unter und über ihr waren sorgfältig gesäubert und weiß getüncht. Dampfrechner waren empfindliche Dinger, und launenhaft, wie sie gehört hatte; es war besser, keinen zu haben, als ihn nicht zu pflegen. Im Streulicht von Micks Karbidlampe glänzten Dutzende von knorrigen Messingsäulen, die oben und unten in massiven, durch polierte Messingplatten gebohrten Fassungen steckten, mit schimmernden Hebeln, gezahnten Sperrstangen, tausend stählernen Zahnrädern, alles sehr sauber, glänzend und nach Leinsamenöl riechend.
    So aus der Nähe betrachtet, verschaffte die Maschine Sybil ein eigenartiges Gefühl, beinahe wie Hunger oder Habgier, wie sie sie gegenüber … einem schönen Pferd empfinden würde. Sie wollte den Mechanismus nicht gerade ihr Eigen nennen, aber irgendwie besitzen …
    Auf einmal war Mick hinter ihr und nahm sie beim Arm. Sie schrak zusammen. »Ein hübsches Ding, nicht?«
    »Ja, es ist … wunderschön.«
    Ohne ihren Arm loszulassen, hob Mick seine andere behandschuhte Hand langsam an ihre Wange in der Haube. Dann hob er ihr Kinn mit dem Daumen und blickte ihr ins Gesicht. »Man fühlt etwas, nicht wahr?«
    Sein hingerissener Tonfall belustigte sie genauso wie seine grell von unten angestrahlten Augen. »Ja, Mick«, sagte sie in hastigem Gehorsam. »Ich fühle es wirklich … etwas.«
    Er löste die Schleife ihrer Haube unter dem Kinn, sodass sie ihr in den Nacken fiel. »Du fürchtest dich doch nicht davor, wie? Nicht, wenn ich dabei bin und dich halte. Du fühlst eine ganz besondere kleine Erregung, ein Prickeln. Du wirst lernen, dieses Gefühl zu
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