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Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Die Deutschen im Osten Europas: Eroberer, Siedler, Vertriebene - Ein SPIEGEL-Buch
Autoren: Annette Großbongardt
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ein.

    1941 – 1945
    Etwa 15 Millionen sowjetische Zivilisten fallen Hitlers Krieg zum Opfer. Stalin lässt fast eine Million Wolgadeutsche deportieren.

    1945
    Deutsche fliehen vor der Roten Armee, »wilde« und später organisierte Vertreibungen der Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn; insgesamt sind etwa 14 Millionen Menschen betroffen. Auf der Potsdamer Konferenz beschließen die Alliierten die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze und stimmen der Aussiedlung der Deutschen zu.

    1970
    Eine Folge der neuen Ostpolitik unter Willy Brandt: Im »Warschauer Vertrag« erkennt die Bundesrepublik Deutschland die Grenzen Polens als unverletzlich an.

    1990
    Im Zwei-plus-Vier-Vertrag werden die Ost-Grenzen des vereinten Deutschland als endgültig festgeschrieben.

    2007
    Die Grenzkontrollen zwischen Polen und Deutschland werden nach dem Beitritt Polens zum Schengener Abkommen eingestellt.

Verschollene Preziosen
    Die Insignien der 1348 gegründeten Prager Karls-Universität wechselten häufig zwischen Deutschen und Tschechen – 1945 verlor sich ihre Spur.

    Von Carsten Voigt

    Mitte April 1945 halten zwei Fuhrwerke und ein Lastwagen vor Gebäuden der Prager Karls-Universität. Arbeiter schleppen Holzkisten heraus und verstauen sie in den Fahrzeugen. Die Kisten enthalten kostbare Güter: die Insignien der altehrwürdigen Alma Mater – mit Edelsteinen besetzte Universitäts-Zepter, dazu die von Papst und König ausgestellten Gründungsurkunden und Teile des Archivs. Auf dem Masaryk-Bahnhof verladen die Spediteure die Preziosen in einen Waggon. Ziel des Zuges ist Schloss Kauth in Südböhmen. Dort soll der Schatz vor der anrückenden Roten Armee in Sicherheit gebracht werden. Noch am selben Tag rollt der Eisenbahnwagen nach Pilsen und wird dort auf dem Rangierbahnhof abgestellt. Um die wertvollen Kleinodien hatte es oft Streit gegeben, seit die Prager Universität 1882 in eine tschechische und eine deutsche Lehranstalt aufgeteilt worden war. Deren wechselvolle Geschichte, sagt der Schweizer Historiker Christian Krötzl, könne »als ein Katalysator der deutsch-tschechischen Beziehungen angesehen werden«.
    Die ersten deutschen Siedler waren unter der Herrschaft der böhmischen Přemysliden ins Land gekommen. Um 1300 war etwa jeder sechste der 1,5 Millionen Bewohner deutscher Herkunft. Unter Karl IV. erblühte Prag zum politischkulturellen Zentrum Mitteleuropas. Der böhmische König,
der 1355 zum deutschen Kaiser gekrönt wurde, baute den verwahrlosten Hradschin zu einem würdigen Herrschersitz aus, stampfte ein neues Stadtviertel aus dem Boden und ließ eine steinerne Brücke über die Moldau sowie einen neuen Dom bauen – Monumente, die noch heute von der »goldenen Zeit« zeugen. Mit der Gründung der ersten Universität nördlich der Alpen und östlich von Paris im Jahr 1348 erhob Karl IV. die böhmische Metropole auch zum Hort von Wissenschaft und Gelehrsamkeit. Von überall her strömten lernbegierige junge Männer nach Prag.
    Die Scholaren und Magister gliederten sich in »Nationen«. Diese bestimmten sich grob nach den vier Himmelsrichtungen. Zur Nation der einheimischen Böhmen zählten auch Ungarn und Südslawen, der Nation der Polen wurden Deutsche aus Preußen und Schlesien zugerechnet. Die Bayern kamen unter anderem aus Schwaben, Franken, Hessen, dem Rheinland und Westfalen. Das Herkunftsgebiet der Sachsen erstreckte sich über Hannover, Mecklenburg, Holstein, Dänemark und Schweden bis nach Finnland.
    Der Anteil der deutschsprachigen Studenten überwog. Um 1400 gehörte gut ein Drittel den Sachsen an, die polnische Nation machte mehr als ein Viertel der Studenten aus. Bayerische und böhmische Nation stellten mit jeweils knapp 20 Prozent den geringsten Anteil. Bei Abstimmungen hatte jede Nation eine Stimme. Um das babylonische Sprachengewirr zu lösen, parlierten die Studiosi auf Latein – auch zu den Mahlzeiten in der Mensa. Ende des 14. Jahrhunderts, zur Blütezeit der Alma Mater, gab es erste soziale Konflikte. Im Streit um die Pfründen des Karlskollegs fühlten sich die Böhmen benachteiligt. Überlagert wurde der Zwist durch konfessionelle Differenzen. Der Prager Prediger Jan Hus wetterte gegen moralische Verderbtheit in der katholischen Kirche und wiegelte die Studentenschaft auf. Die böhmische
Nation sympathisierte mit der hussitischen Bewegung, während die drei deutschen Nationen sie ablehnten. Der Streit eskalierte, als König Wenzel IV. 1409 anordnete, dass die Böhmen drei
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