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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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verhinderte das mittelalterliche System der Zünfte die Modernisierung von Arbeitsprozessen. Eher begünstigte es kollektive Saufexzesse nach Feierabend. Die einzige Wirtschaft, die von ihm noch profitierte, war die Gastwirtschaft: Um 1700 herum war es keine Seltenheit, dass eine Kleinstadt mit zweihundert Häusern über dreißig bis vierzig Kneipen verfügte.
    Erfolgreich legte den Deutschen erst wieder der Pietismus die disziplinierenden Daumenschrauben an, und zwar auf konsequentere Weise, als Luther dies getan hatte. Das Weltbild des Reformators, der selbst Speis und Trank nicht abhold gewesen war, hatte noch genügend Raum für Sinnesfreuden gelassen. Außerdem schützte ihn seine Gnadenlehre, die besagte, dass es am Schluss einzig und allein von Gottes unermesslichem Willen und nicht von meinem Tun abhinge, ob ich im Jenseits zur Seligkeit gelange, davor, das gesamte Leben einem eisernen Regiment zu unterwerfen. Gnade ließ sich für Luther allenfalls durch zutiefst empfundene Reue ob der eigenen Sündhaftigkeit erflehen - systematisch erarbeiten ließ sie sich nicht.
    Und auch in ihren Anfängen zielte die - ohnehin höchst uneinheitliche - Bewegung des Pietismus noch nicht so sehr darauf, den Menschen zum Arbeitstier im Namen Gottes zu dressieren. Vielmehr ging es ihr darum, die Herzen wieder zum Schwingen und Beben zu bringen, seit das offiziell gepredigte Luthertum zur leblosen Schuldoktrin erstarrt war. Die zentralen Erlebnisse für jeden »wiedergeborenen« Christen waren der »Bußkampf« - so weit, so Luther - und der anschließende »Durchbruch«. Indem die Pietisten fest darauf vertrauten, dass Gottes Reich auf dieser Welt errichtbar und damit eine Art Vorstufe zur Seligkeit schon im Dies- und nicht erst im Jenseits zu erreichen sei, setzten sie sich vom Luthertum ab. Philipp Jacob Spener, die wichtigste frühe Kraft dieser neuprotestantischen Strömung, die sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bildete, blieb allerdings insofern Luther treu, als er in rastloser Tätigkeit die Gefahr witterte, menschliches Wirken zu vergötzen. Ihm zufolge musste dem Gemüt die rechte Ruhe, »so es in Gott haben sollte«, gegönnt werden.
    Dieses Innehalten, das dem kontemplativen Spener noch wesentlich war, wurde bald rigoros verabschiedet: Arbeitsdienst und Gottesdienst wurden eins. 1695 ging der dreißig Jahre jüngere August Hermann Francke daran, in Glaucha bei Halle eine pietistische Musterstadt zu errichten. Anfangs als Waisenhaus konzipiert, wuchsen sich die Franckeschen Stiftungen bald zu einem dreigliedrigen Schulsystem aus, in dem nicht nur die Kinder verarmter Leute von der Straße geholt und erzogen wurden, sondern in das auch der preußische Adel seine Sprösslinge schickte, auf dass sie dort kerzengerade heranwüchsen. Daneben stärkte die »Stadt Gottes« den Wirtschaftsstandort Halle: Neben den Erziehungseinrichtungen gab es eine Apotheke, die bald begann, Medikamente in größerem Stil zu exportieren, ebenso eine Buchdruckerei mit angeschlossener Buchhandlung.
    Zum flammenden Befürworter und Förderer der Franckeschen Stiftungen wurde König Friedrich Wilhelm I. Das Lebensmotto des »Soldatenkönigs«, der im Berliner Schloss aus Sparsamkeit nur wenige Zimmer bewohnte und den maroden Staatshaushalt, den sein kunst- und wissenschaftsbegeisterter Vater hinterlassen hatte, auch sonst konsequent sanierte, lautete: »ParoP auf dieser Welt ist nichts als Müh’ und Arbeit.« Der König, der dafür gefürchtet war, schon mal vom Pferd zu steigen, um einen Untertanen, den er beim Müßiggang ertappte, eigenhändig mit dem Stock zu verprügeln, fand in August Hermann Francke einen Gesinnungsbruder, lautete dessen Credo doch: »Wir müssen in unserem ganzen Leben schaffen, dass wir selig werden.«
    König Friedrich Wilhelm I. prügelt den Torschreiber von Potsdam aus dem Bette. Holzstich von 1889.
    Damit wurde die berufliche Rastlosigkeit zum ersten Mal in Deutschland zur frömmst-möglichen Lebensform gekürt, die keiner Ergänzung oder Überhöhung durch besinnliche Phasen mehr bedurfte. Sicher wurden die Zöglinge der Franckeschen Stiftungen zu regelmäßigem Gebet und frommen Gesängen angehalten. Sicher vermittelten die Schulen - zumindest die mittlere »Lateinische Schule« und die Elitenschmiede des »Pädagogium Regium« - eine für damalige Verhältnisse exzellente Bildung. Im Kern ging es jedoch darum, die Kinder von klein auf an konsequentes Arbeiten zu gewöhnen. Nur wer arbeitete,
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