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Die Daemonen 01 - Die Daemonen

Die Daemonen 01 - Die Daemonen

Titel: Die Daemonen 01 - Die Daemonen
Autoren: Tobias O. Meißner
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dabei aber immer wieder in gelehrte Disputationen ausbrachen, in denen nicht derjenige obsiegte, der die festeren Fäuste besaß, sondern der die schlüssigeren Argumente vorzubringen verstand. Im hügeligen Bereich der Altstadt gab es einen greisen Gelehrten namens Serach, der vollkommen unentgeltlich der Menge Vorlesungen hielt. Mehrmals hatte Minten Liago sich unter den zuhörenden Menschen eingefunden, das erste Mal nur zufällig mit einem Packen Baumwolle auf der Schulter, die weiteren Male jedoch absichtsvoll, weil ihn Serachs Weise, die Worte auszuwählen und zu sprechen, bis in den Schlaf hinein verfolgt hatte. Serach sagte gefährliche Dinge. Er erzählte, dass der König noch ein Kind sei und alle Könige und Barone und selbst die Baroness den Dauren nicht besser oder klüger wären als jeder einfache Hafenarbeiter. Er erzählte, dass es das Schicksal von mächtigen und ausgedehnten Königreichen sei, eines Tages zu zerbrechen und dem Vergessen anheimzufallen. Er erzählte, dass gewisse Grundgesetze in der Natur des Menschen verhinderten, dass der Mensch auf Dauer friedliebend und glücklich würde. Und er umriss auch die Legende vom Dämonenschlund, in dem die Ungeister gefangen wären in ewiger Pein, gefangen von dem wenigen, das gut war im Herzen der Menschen, gefangen von der Liebe und der Selbstlosigkeit, dem Schönheitsempfinden und dem Mitgefühl – und wie dünn jedoch und brüchig die Wände des Dämonenschlunds in den letzten Jahrzehnten wieder geworden seien, weil die Menschen taub wurden für das Gute in ihnen. Serach führte an, wie groß die Ähnlichkeit eines Dämonen war mit jedem, der sein Kind schlägt, seine Frau oder seinen Trinkkumpanen.
    Serach hatte auch geredet über das Meer und die Wolken und dass die Wolken das Meer mit ihren Tränenspeisten und das Meer die Wolken mit seinem stets erregten Atemhauch. Er hatte gesprochen von der Anwesenheit der Sonne, die jedes Lebewesen brauchte, um sich wärmen und nähren zu können, und von der Abwesenheit der Sonne, die ebenfalls wichtig sei, da nur so das Leben sich abkühlen könne und in der Lage sei, Ruhe zu finden. Vor allem jedoch hatte Serach gesagt, dass jeder Mensch, ob er nun als König, Baron, Bauer oder Knecht geboren sei, die Zügel seines eigenen Schicksals in der Hand halte und alles zu werden vermöchte, was er sich aussuchte: ein König, ein Baron, ein Bauer oder – wie offensichtlich von vielen gewählt – nur ein Knecht.
    Minten Liago war nie ein großer Denker gewesen, aber nachdem er dem weisen Serach mehrmals zugehört hatte, war in ihm ernsthaft der Wunsch entstanden, ein Student zu werden. Das Problem dabei war nur, dass es eine Befähigungsprüfung zu bestehen gab, bei der man Lesen, Schreiben und Rechnen vorführen sollte, und Minten zwar genügend Rechnen konnte, um zu bemerken, wenn jemand ihn übers Ohr hauen wollte, und er auch genügend Lesen beherrschte, um Einkaufszettel und Ladelisten entziffern und zuordnen zu können – aber mit dem Schreiben haperte es bei ihm, weil Schreiben nicht wirklich von Nutzen war. Darüber hinaus musste man als angehender Student eine Eintragungssumme entrichten, und auch das eigentliche Studieren kostete nicht wenige Stücke, weil die Lehrer bezahlt werden mussten, sodass nur die Kinder wohlhabender Eltern es sich leisten konnten, sich dem Studieren zu widmen, ohne sich nebenbei mit harter Arbeit ganz erschöpfen zu müssen.
    Wie Minten Liago nun so dasaß und nachdachte, konnte jeder auf den ersten Blick sehen, dass er nichts Besseres war als der Sohn mittelloser Eltern, die ihn, kaum dass er dreizehn Jahre alt geworden war, nach dem prosperierenden Kurkjavok geschickt hatten, damit er sich durch ehrliche Arbeit selbst ernähre. Er trug eine weitgeschnittene, von der Arbeit fleckige Leinenhose und eine ärmellose Weste von dunkelgrauer Farbe. Schwert oder sonstige Waffen besaß er nicht, seine Fäuste genügten ihm und ab und zu ein herumliegender Holzscheit, um Streitereien und Händel mit herumstreunenden Halunken zu seinen Gunsten zu entscheiden. Seine schulterlangen rotblonden, leicht struppig gewellten Haare und der wild wuchernde Backenbart verliehen ihm ein verwegenes Aussehen. Sein Gesicht war ein wenig zu flach und breit, um schön genannt zu werden, aber seine Nase war gerade, die Lippen nicht zu wulstig, und vor allem hatte er diesen Blick, den eine in Liebesdingen erfahrene ältere Frau aus Icrivavez einmal als »unverwandt« bezeichnet hatte – ein Blick, der
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