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Die Brooklyn-Revue

Die Brooklyn-Revue

Titel: Die Brooklyn-Revue
Autoren: Paul Auster
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Ehemann wiederfinden könnte. Harry hatte in der Vergangenheit viele Menschen geliebt, war aber selbst nur selten geliebt worden, und Bettes Leidenschaft erstaunte ihn. Sie bot ihm nicht nur ohne Vorbehalte ihre Hand an, sondern gewährte ihm im gleichen Atemzug auch noch vollkommene Freiheit.
    Natürlich musste er auch gewisse Nachteile in Kauf nehmen. Da waren zum einen Bettes Familie und die tyrannischenEinmischungen ihres aufgeblasenen Vaters, der immer wieder damit drohte, seine Tochter zu enterben, wenn sie sich nicht von «diesem widerwärtigen Schwulen» scheiden ließe. Und dann war da, womöglich noch beunruhigender, Bette selbst. Nicht der Mensch oder das Wesen Bette, sondern ihr Körper, ihre äußere Erscheinung, die kleinen, schielenden Augen und die abstoßenden schwarzen Härchen, die ihre fleischigen Unterarme zierten. Harry besaß von Natur aus einen hoch entwickelten Schönheitssinn, und noch nie hatte es ihm jemand angetan, der kein attraktiver Mensch war. Wenn irgendetwas ihn zögern ließ, sie zu heiraten, dann ihr Aussehen. Aber Bette war so liebenswürdig und stets so sehr darauf bedacht, ihn zufrieden zu stellen, dass Harry den Sprung wagte, im vollen Bewusstsein, dass seine erste Aufgabe als Ehemann darin bestehen würde, seine Frau zum Faksimile einer Frau zu modellieren, die – im rechten Licht und unter angemessenen Umständen – einen Funken Verlangen in ihm wecken konnte. Einige Verbesserungen waren ziemlich einfach zu bewerkstelligen. Ihre Brille wurde durch Kontaktlinsen ersetzt, ihre Garderobe aufgepeppt; ihre Arme und Beine wurden in regelmäßigen Abständen einer schmerzhaften Enthaarung unterzogen. Andere Faktoren freilich konnte Harry nicht beeinflussen; da galt es Anstrengungen zu unternehmen, bei denen seine frisch gebackene Braut auf sich allein gestellt war. Und Bette tat ihm den Gefallen. Mit der ganzen Disziplin und Selbstverleugnung einer frommen Schwester Gottes brachte sie es zuwege, im ersten Jahr ihrer Ehe ein Fünftel ihres Körpergewichts wegzuhungern – von unansehnlichen 70 auf schlanke 55   Kilo zu gelangen. Das zähe Ringen seiner willensstarken Galatea rührte ihn, und während Bette unter der Obhut und dem fürsorglichen Blick ihres Gatten aufblühte, entwickelte sich ihre zunehmendeBewunderung füreinander zu einer soliden, dauerhaften Freundschaft. Floras Geburt im Jahre 1969 war nicht das Ergebnis einer eigens geplanten einmaligen Nacht. Harry und Bette schliefen in den ersten Jahren ihrer Ehe so oft miteinander, dass eine Schwangerschaft nahezu unausweichlich war – ein
fait accompli
a priori. Wer von Harrys Freunden hätte eine solche Wandlung vorhergesehen? Er hatte Bette geheiratet, weil sie versprochen hatte, ihm seine Freiheit zu lassen, aber als sie dann zusammen waren, stellte er fest, dass er wenig oder gar kein Interesse daran hatte, sie zu nutzen.
    Im Februar 1968 öffnete die Galerie ihre Pforten. Für den vierunddreißigjährigen Harry erfüllte sich damit ein lange gehegter Traum, und um ihn zum Erfolg zu machen, scheute er keine Mühe. Chicago war gewiss nicht das Zentrum der Kunstwelt, aber auch kein Provinznest, und in der Stadt war genug Geld in Umlauf, dass ein kluger Mensch einen Teil davon in die eigene Tasche lenken konnte. Nach einiger Zeit gründlichen Nachdenkens wusste er, wie die Galerie heißen sollte: Dunkel Frères. Harry hatte zwar keine Brüder, fand aber, der Name verleihe dem Unternehmen ein gewisses europäisches Flair und lasse zudem auf eine lange Familientradition im Kunsthandel schließen. Wie er es sah, führte der deutsche Eigenname in Verbindung mit dem französischen Beiwort zu einer bestrickenden, alles in allem positiven Verwirrung in den Köpfen seiner Kunden. Die einen würden die Vermengung der beiden Sprachen als Hinweis auf einen elsässischen Ursprung deuten. Andere würden ihn für den Spross einer deutsch-jüdischen Familie halten, die nach Frankreich emigriert war. Wieder anderen würde er vollkommen rätselhaft erscheinen. Niemand würde über Harrys Herkunft Gewissheit haben – und ein Mann, der sich mit einer geheimnisvollen Aura zuumgeben weiß, hat in der Öffentlichkeit immer ein paar Pluspunkte.
    Er spezialisierte sich auf Arbeiten junger Künstler – hauptsächlich Gemälde, aber auch Skulpturen und Installationen und dazu ein paar Happenings, die Ende der Sechziger noch in Mode waren. Die Galerie sponserte Dichterlesungen und
soirées musicales
, und da Harry am Schönen in jeder Form
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