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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau
Autoren: Sandra Lüpkes
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schmalen, ungeschminkten Lippen.
    «Es tut uns wirklich leid, was mit Ihrer Tochter passiert ist», sagte Britzke.
    Zum Glück war ihm die Beileidsbekundung eingefallen. Wencke hatte sie tatsächlich vergessen, vielleicht, weil sie sich selbst so leid tat. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihr ein Angehörigenbesuch je so an die Nieren gegangen wäre. Dies war zwar nicht der erste Teenagermord, in dem sie ermittelte – vor Jahren hatte sie auf Norderney den Tod einer Vierzehnjährigen aufklären müssen   –, aber hierund heute wurde sie das Gefühl nicht los, selbst Anteil am Schicksal der Familie zu haben.
    Endlich löste die Frau ihre abwehrende Haltung. «Kommen Sie doch rein.»
    Sie folgten ihr durch den hell gefliesten Flur. An der Wand hingen bunt gerahmte Bilder: von einem Baby in der Badewanne, einem Kleinkind auf dem Schlitten, einer Geburtstagstorte mit sieben Kerzen und einem grinsenden Gesicht dahinter, von der Konfirmation im schwarzen Kostümchen und roter Rose am Revers. Ja, auf diesem letzten Foto erkannte Wencke das Mädchen wieder, welches sie eben dort am schlammigen Ufer des kleinen Teiches hatte liegen sehen. Es war immer noch ein kindliches Gesicht gewesen, mit dunkelblondem Haar und einer Frisur irgendwo zwischen süßem Mädchen und junger Dame. Der Anblick der toten Allegra hatte Wencke im Grunde genommen nicht so sehr schockiert. Die Leiche wirkte seltsam unbeschädigt, und wäre sie nicht nackt gewesen, hätte man auch von einem Selbstmord oder Unfall ausgehen können. Doch zu sehen, wie sie den Eltern in Erinnerung bleiben würde, als etwas angestrengt lächelnde Tochter, die nicht so recht wusste, wohin mit den Händen, wenn sie fotografiert wurde, legte Wencke einen Stein in den Magen.
    Auf dem Esstisch standen neben leeren Teetassen auch einige Medikamente. Davor saß ein bleicher Mann mit Halbglatze, neben ihm ein noch blasseres Mädchen.
    «Ich habe beiden etwas zur Beruhigung gegeben. Ich bin Ärztin», erklärte Ute Sendhorst ungefragt. Dann schloss sie die Terrassentür und rieb sich die Arme. Anscheinend war ihr kalt, obwohl draußen 25   Grad herrschten und die Luft in diesem Raum zum Schneiden war. Sie setzte sich neben den Mann und klopfte ihm fast mechanisch den Unterarm. Er ließ seinen Kopf auf ihre Hand sinken und weinte leise.Das Mädchen, ungefähr im selben Alter wie Allegra, putzte sich die Nase.
    Wencke und Britzke standen hilflos mitten im Zimmer. Es war unerträglich. Eine bleierne Stille machte sich breit, bis endlich ein Telefon im Flur klingelte. Ute Sendhorst wollte gleich aufstehen, aber ihr Exmann schüttelte den Kopf und erhob sich. «Ist schon gut. Ich mach das.»
    Erst als er hinausgegangen war, fasste Wencke endlich den Mut, ein Wort zu sagen. Sie setzte sich auf den frei gewordenen Stuhl und wandte sich an das Mädchen. «Bist du die Freundin, bei der Allegra gestern gespielt hat?»
    Ein Nicken und ein zitterndes Einatmen waren die Antwort.
    «Ich bin Wencke Tydmers und arbeite für die Polizei. Es ist gut, dass ich dich hier treffe, denn es ist sehr wichtig, dass du uns alles erzählst, an was du dich erinnern kannst, verstehst du? Je mehr wir wissen, desto größer ist die Chance, dass wir ganz schnell herausfinden, was passiert ist. Und je schneller wir es herausfinden, desto sicherer können wir sein, dass so etwas nicht nochmal passiert.»
    «Glauben Sie, es war dieser Triebtäter?», unterbrach Ute Sendhorst mit schneidender Stimme. «Denken Sie, es war Gernot Huckler?»
    «Wir denken momentan erst einmal gar nichts. Wir wissen ja noch nicht einmal, ob   … nun ja, ob Ihrer Tochter etwas angetan wurde.»
    «Etwas angetan wurde?» Sie ließ ein bitteres, verrauchtes Lachen hören. «Immerhin ist meine Tochter ermordet worden, oder nicht? Da ist doch schon mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass ihr etwas angetan wurde!»
    «Sie wissen, was ich meine.»
    «Klar weiß ich, was Sie meinen. Missbrauch.» Ihre zitternden Finger griffen in die Brusttasche des Arztkittelsund zogen eine zerknitterte Zigarette hervor. «Und es war nötig, sie zu ermorden, damit die Alli diesen Huckler, dieses Schwein, nicht verpfeift.»
    «Im Moment können wir noch keine eindeutigen Aussagen machen. Mit Verdächtigungen sollten wir alle daher vorsichtig sein.»
    Die Frau zog so stark an ihrem Filter, dass sich die Glut fast bis zur Hälfte des Tabaks fraß. Während sie den dicken Rauch wieder ausatmete, sagte sie: «Hören Sie, Frau Kommissarin. Ich
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