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Die Blütenfrau

Die Blütenfrau

Titel: Die Blütenfrau
Autoren: Sandra Lüpkes
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werden sehen. Beim nächsten Mal können Sie dann auch bezahlen.»
    «Und wenn’s nicht hilft?»
    «Das wird nicht passieren. Da bin ich mir sicher.»
    Sie begleitete den Mann durch den Hausflur, bis sie vor der blauweiß bemalten Holztür standen. Im Vorgarten blühte der Klatschmohn, vom Marktplatz her hörte man das melodische Gebimmel des Ludgeri-Glockenspiels. Ein Uhr, gleich würde Griet nach Hause kommen. Wie wohl ihreLateinarbeit verlaufen war? Hoffentlich hatten die Tropfen gegen die Prüfungsangst ihrer Tochter geholfen.
    «Bis zur nächsten Raubtierfütterung», scherzte Oltmanns beim Abschied, setzte sich auf sein Rad und fuhr los. Er drehte sich noch einmal kurz um, und Esther bemerkte, wie er plötzlich stutzte. «Haben Sie die Sauerei gesehen?», rief er über die Schulter, schüttelte den Kopf und trat wieder in die Pedale.
    Esther folgte seiner Blickrichtung nur zögerlich. Sie ahnte bereits, was Oltmanns gesehen haben musste. Nahm das denn nie ein Ende? Dreimal schon hatte sie ihre weiße Hauswand überpinseln müssen. «Vorsicht, hier lebt ein Kinderschänder» und ähnliche Schmierereien waren aufgesprüht worden. Und tatsächlich machte sich wieder ein blutroter Schriftzug breit.
    WIR KRIEGEN DICH DU MÖRDER!!!
    Esther war fassungslos. Sie hatte gehofft, die letzten ruhigen Wochen wären ein Indiz dafür gewesen, dass die Meute sich endlich beruhigt hatte. Und nun stand da eine Beschuldigung, die noch wüster und aggressiver war als alle zuvor. Es war eine Drohung und eine Lüge: Gernot war kein Mörder. Natürlich hatte er seine Vergangenheit, das wusste sie, das wusste jeder, aber er hatte niemals jemanden getötet.
    Warum waren die Menschen in dieser Stadt so grausam zu ihnen? Sie machten sich alle selbst des Mordes schuldig, des Rufmordes, um genau zu sein.
    Gut, den Kern der Sorge konnte Esther begreifen. Sie hatte schon damit gerechnet, dass sich die Menschen schwer damit taten, ihren neuen Ehemann zu akzeptieren. Sie kannten Gernot ja nicht, nein, kein bisschen kannten sie ihn. Sie hatten nur dieses Bild vor Augen, welches vor mehr als sechs Jahren bundesweit durch die Presse gegangen war:
     
    Der neue Rattenfänger von Hameln
    Der bereits wegen einschlägiger Delikte vorbestrafte 29-
jährige Jugendgruppenleiter Gernot H. hat gestanden, bei mehreren Gelegenheiten sexuelle Übergriffe auf minderjährige Mädchen begangen zu haben. Zwei seiner ihm anvertrauten Schützlinge, Carina W. und Jennifer R. (beide 11   Jahre jung) hatte er mehrmals auf einer gemeinsamen Zeltwanderung in der Nähe der Barsinghauser Kohlegruben missbraucht   …
     
    Das Foto von Gernot war so scheußlich gewesen, dass die Leser der Sensationsblätter sich gefragt haben mussten, welche Eltern überhaupt ihre Kinder bei einem solchen «Monster» in Obhut gäben. Esther kannte auch andere Aufnahmen ihres Mannes, die etwa zur selben Zeit gemacht worden waren. Da sah er freundlich aus, lächelte offen in die Kamera, hatte eine Gitarre in der Hand oder hielt eine Bratwurst über das Lagerfeuer. Die Journalisten mussten lange recherchiert haben, bevor sie dieses misslungene Porträt von Gernot gefunden und zum offiziellen Pressefoto auserwählt hatten. Verschwommen und braunstichig war es. Gernot schaute von unten herauf, sodass man viel vom Weiß in seinen Augen sehen konnte, die Haare standen wirr vom Kopf ab, und die Mundwinkel waren nach unten gezogen. Ja, so sah ein Monster aus. Aber Esther hatte auch von sich solch entstellende Schnappschüsse in der Schublade. Gut, besonders hübsch fand sie sich ohnehin nicht, sie hatte mindestens zehn Kilo zu viel auf den Hüften, und ihre glatten, leicht grauen Haare machten nicht wirklich etwas her, aber auf den schlimmen Fotos sah sie nicht nur graumäusig, sondern direkt hässlich aus. Eines davon – auf dem sie etwas frustriert ins Nichts blickt und noch dazu die Arme verschränkthielt – hatte vor zwei Jahren auf unerklärliche Weise den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. «Heilpraktikerin heiratet Kinderschänder hinter Gittern» lautete die Bildunterschrift. Gernot hatte sich damals einen Witz erlaubt und aus beiden Bildern am PC eine Collage gemacht. Er mit Exorzistenblick und sie mit einer Visage, die auch gut auf die RA F-Fahndungsplakate gepasst hätte. Komisch, dachte Esther jetzt, diese Fotomontage war im Grunde genommen das einzige Bild, das es von ihnen beiden gab. Bei der Hochzeit hatte niemand fotografiert. Und seit Gernot hier bei ihr lebte, waren sie
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