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Die Beutefrau

Die Beutefrau

Titel: Die Beutefrau
Autoren: Martina Kempff
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Heiligtums herrschte und jede Sippe es dem eigenen Gebiet zuschrieb.
    »Weißt du, was die Irminsul war?« fragte er Gerswind am Abend.
    »Ein ganz hoher Baum«, erklärte das Kind. »Viel größer als du. Aber er ist umgestürzt worden, und damit sind die bösen Götter der Heiden gestorben.« Sie wandte sich der zehnjährigen Rotrud zu. »Das stimmt doch?«
    Karls Tochter nickte vergnügt. Gerswind war eine gelehrige Schülerin. Es machte Freude, Wissen weiterzugeben. Rotrud wußte, daß man am Hof hinter vorgehaltener Hand darüber tuschelte, daß der König seinen Töchtern nahezu die gleiche Ausbildung wie den Söhnen angedeihen ließ, und sie hatte sich manches Mal schon selbst gefragt, warum sie sich als Mädchen nicht nur in der Nähstube, sondern auch in der Schreibstube anstrengen mußte. Teles, bei dem sie als Vorbereitung auf ihre künftige Aufgabe als byzantinische Kaiserin Griechisch lernte, hatte ihr auf diese Frage nur geantwortet, daß ihre Großmutter Bertrada im Himmel stolz auf ihre kluge Enkelin sein wolle. »Sie liebte meine Sprache und wußte alles über meine Götter«, hatte er gesagt und Rotrud damit in vorübergehende Verwirrung gestürzt. »Deine Götter?«
    Teles fing sich augenblicklich: »Meine alten Götter, natürlich, die aus der Ilias und der Odyssee.«
    Mit Verwunderung beobachtete Karl, daß die Tochter Widukinds wenig Vergnügen darin fand, mit der fast gleichaltrigen Gisela zu spielen. Sie hatte sich schon am ersten Tag der sieben Jahre älteren Rotrud angeschlossen, auch wenn Geva vergeblich versucht hatte, dieser Verschwisterung einen Riegel vorzuschieben.
    »Deiner Rotrud kann es wohl kaum Freude bereiten, sich mit einem so kleinen Kind abzugeben«, sagte sie zu Karl.
    »Ganz im Gegenteil. Gerswind ist genauso alt, wie meine kleine Tochter Hildegard heute wäre, und Rotrud war untröstlich, als sie von uns ging – so kurz nach dem Tod der Mutter.«
    »Um so weniger sollte sie sich mit ihr abgeben, denn dann wird ihr der Abschied nur noch schwerer fallen.«
    »Welcher Abschied?«
    Karls Frage ließ Geva erstarren. Sie wußte, daß nicht nur ihr Mann Bedingungen stellen konnte, und ahnte jetzt, wie eine Forderung des Frankenkönigs lauten könnte. Ein ungutes Gefühl hatte sich ihrer bereits am ersten Tag bemächtigt, als Gerswind an Karls Hand den Saal betreten hatte. Warum nur hatte sich das ungehorsame Kind wieder einmal auf Abwege begeben? Selbst als es seine Füße noch nicht hatte nutzen können, war es ständig ausgerissen und tief in den Wald hineingekrabbelt. »In ihr steckt eben das Nomadenblut unserer Ahnen«, hatte Widukind damals behauptet. »Sie will die Welt kennenlernen.« Sicher, diesem Nomadenblut war es vermutlich zu verdanken, daß Geva und ihre drei Kinder nicht auch dem Gemetzel in der steinernen Waldhütte zum Opfer gefallen waren, doch würde es jetzt das Kind der Sippe entreißen?
    »Dein Mann wird sich über die Auswahl der Geiseln nicht beschweren«, sagte Karl wie nebenbei. »Ich habe nicht nur hochrangige Hofleute, sondern auch meinen ältesten Sohn Pippin aus Regensburg zu ihm schicken lassen.«
    Gerswind versuchte auf Karls Schoß zu klettern, doch der Stuhl, auf dem der König saß, war zu hoch für sie. Lachend zog er sie zu sich hinauf und blies ihr ein paar weißblonde Strähnen aus dem Gesicht. »Damit ich deine hübschen blauen Augen sehen kann!«
    »Wo ist Teles?« fragte Gerswind, während sie wieder mit ihrer Flechtarbeit am Bart des Königs begann.
    »Auf eigenen Wunsch eine der Geiseln«, sagte Karl zu Geva. Zu Gerswind: »Er besucht deinen Vater.«
    »Warum kommt mein Vater nicht hierher?« fragte Gerswind.
    »Weil ich zu ihm gehen werde«, antwortete Karl.
    Nur wenige Tage später machte er sich auf den Weg.
    Umringt von einigen wenigen Kriegern, lehnte Widukind neben Abbio an einem der eindrucksvollen hohen Felsen, als Karl mit seiner Truppe bei den Eggstersteinen im Teutoburger Wald ankam.
    In gebührendem Abstand ließ der Frankenkönig sein berittenes Gefolge absitzen. Auch er hatte eine ungewöhnlich kleine Zahl von Begleitern mitgenommen.
    Als Karl auf Widukind zuging, kam ihm der Sachsenfürst entgegen. Außer einem Messer in der Scheide trug er keine Waffe an seinem Gürtel.
    »Ich grüße dich, Widukind, Herzog der Sachsen«, ergriff Karl das Wort.
    »Sei gegrüßt, Karl, König der Franken«, erwiderte Widukind. »Herzog bin ich nicht, doch wohl ein Fürst unter den Völkern der Sachsen.« Er verneigte sich tief, aber
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