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Die Besteigung Des Rum Doodle

Die Besteigung Des Rum Doodle

Titel: Die Besteigung Des Rum Doodle
Autoren: W. E. Bowman
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vergessen, die Arretierung an seinem Kompass zu lösen«, erklärte er uns. »Natürlich hat der dann stets nach Norden gewiesen, egal welche Richtung er einschlug.«
    »Das hätte jedem passieren können«, sagte ich. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass ein Mann dann sein Bestes gibt, wenn man ihm Vertrauen schenkt. Nichts untergräbt das Selbstbewusstsein eines Mannes mehr als Misstrauen seitens seiner Oberen. Für die Expedition wäre es fatal gewesen, wenn wir zugelassen hätten, dass Jungle an sich selbst zweifelte – von den Auswirkungen auf sein späteres Leben ganz abgesehen. Auf meine Geduld halte ich mir dabei nichts zugute; derlei Dinge gehören zum Wesen der Führerschaft, entweder man hat sie, oder man hat sie nicht.
    Aus diesem Grund schickte ich Jungle nach der Rast erneut los, denn ich war mir sicher, dass er denselben Fehler nicht ein zweites Mal machen würde.
    Das tat er auch nicht. Nach etwa vier Stunden Marsch stand die Mannschaft, als ich sie erreichte, am Rande einer riesigen Gletscherspalte  – mit Ausnahme von Jungle, der sich in der Spalte befand. Sein Kompass hatte ihn an diesen Punkt geführt, und statt einen langen Umweg in eine ungewisse Richtung einzuschlagen, hatte er darauf bestanden, in die Spalte hinabgelassen zu werden. Auf der anderen Seite wollte er wieder hinaufklettern, indem er Stufen ins Eis hackte. Nun war er seit zwei Stunden dort unten, und niemand wusste, ob er Fortschritte machte, denn seine Stimme wurde durch das Echo so vervielfacht, dass sie oben als unverständlicher Chor ankam. Womöglich saß er völlig fest.
    In solchen Momenten der Krise zeigt sich der wahre Charakter eines Mannes. Der dünne Schleier aus Manieren und Kultiviertheit, mit dem er sich in der zivilisiertenWelt durchzulavieren versteht, nützt ihm nun nichts mehr. Wenn er nicht die Festigkeit einer Eiche hat, wird sich ein Riss oder Makel zeigen, eine Schwäche, die ihn und seine Kameraden ins Verderben führt. Mit Genugtuung darf ich festhalten, dass die Mannschaft aus dieser Notlage samt und sonders mit fliegenden Fahnen hervorgegangen ist. Es ist vielleicht nicht übertrieben zu sagen, dass auf den letzten Etappen unseres Angriffs auf den Berg, als die Dinge so schwarz wie irgend möglich standen und nur Charakterstärke uns vor dem Untergang bewahrte, das Selbstvertrauen, das wir durch den frühen Zwischenfall gewonnen hatten, bei uns die letzte Unze Kraft freisetzte, die uns triumphieren ließ.
    Natürlich begegnete jeder der Krise auf seine Art. Mit der Kaltblütigkeit eines Napoleon nutzte Burley die Gelegenheit, seine von Gletscher-Trägheit geschwächte Konstitution durch ein Nickerchen wiederherzustellen. Wish kochte ein Stück Eis auf einem Spirituskocher, um den Siedepunkt von Eis zu bestimmen. Shute hatte die Linse seiner Kamera abmontiert und korrigierte sie entsprechend dem geringeren Brechungsindex in der dünnen Höhenluft. Constant verbesserte seine Sprachkenntnisse durch eine lautstarke Auseinandersetzung mit dem Bang. Und Prone behandelte sich auf eine Drüsenschwellung, die sich, wie er vermutete, bei ihm gerade einstellte.
    Das Verhalten meiner Gefährten bei dieser Gelegenheit ist mir, wie ich freimütig bekenne, mehr als einmal Vorbild und Inspiration gewesen, wenn Panik auszubrechen drohte. Angesichts ihrer Ruhe empfand ich Demut, und das Vertrauen, das sie mir als demjenigen, auf dessen Schultern die Verantwortung ruhte, offensichtlich entgegenbrachten, wärmte mir das Herz. Sie wussten, ich würde sie nicht im Stich lassen.
    Aber die Zeit drängte. Wenn Jungle vor Einbruch der Dunkelheit aus seiner prekären Lage befreit werden sollte, musste etwas geschehen, und es musste schnell geschehen. Einer musste zu ihm nach unten geschickt werden, ganz klar, aber wer sollte es sein? Zum Glück hatte ich nach dem Zwischenfall vom Vormittag die Antwort parat. Shute und niemand anderem sollte das Privileg gebühren, sein Leben für seinen Freund zu riskieren.
    Es spricht Bände für Shutes Bescheidenheit, dass er sein Bestes tat, diese Ehre einem anderen abzutreten. Ich aber durfte nicht zulassen, dass er seinem wahren Wunsch untreu wurde, und so baumelte er kurz darauf an einem Seil.
    Nachdem er eine gewisse Strecke nach unten zurückgelegt hatte, verloren wir ihn aus den Augen, und seine Stimme wurde ebenso unverständlich wie die Jungles. Wir gaben Seil zu, bis es durchhing, und warteten dann den weiteren Gang der Dinge ab.
    Ein paar Minuten später dämmerte mir, dass wir
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