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Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung
Autoren: John Grisham
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mussten über irgendetwas reden, weil keiner der beiden die Absicht hatte, jenes Thema anzuschneiden, das sie wirklich beschäftigte.
    Kann das wahr sein?
    Ist das jetzt das Ende?
    Vierzig Jahre. Von der Cornell-Universität bis ins Oval Office. Nun kam das Ende so plötzlich, dass keiner der beiden genügend Zeit gehabt hatte, sich angemessen darauf vorzubereiten. Sie hatten damit gerechnet, weitere vier Jahre im Amt zu bleiben. Vier ruhmreiche Jahre, in denen sie sorgfältig an ihrem politischen Vermächtnis gearbeitet hätten, bevor sie wie im Western heldenhaft in den Sonnenuntergang entschwunden wären.
    Obwohl es schon später Abend war, schien es vor dem Fenster, das auf den Rosengarten ging, noch finsterer zu werden. Der Count-down lief, und sie glaubten, die Uhr über dem Kamin leise ticken zu hören.
    »Wie wird die Presse reagieren, wenn ich Backman begnadige?«, fragte der Präsident nicht zum ersten Mal.
    »Sie wird verrückt spielen.«
    »Könnte lustig werden.«
    »Du wirst ja nicht mehr hier sein.«
    »Stimmt.« Nach der Machtübergabe, die für den Mittag des nächsten Tages angesetzt war, hatte der Präsident vor, Washington fluchtartig zu verlassen. Er würde mit einem Privatjet (der einem Ölunternehmen gehörte) nach Barbados fliegen und dort einige Zeit in der Villa eines Freundes verbringen. Morgan hatte angeordnet, alle Fernseher wegzuschaffen, sämtliche Zeitungen und Illustrierten abzubestellen und alle Telefonkabel aus der Wand zu ziehen. Für mindestens einen Monat würde er jeden Kontakt zur Außenwelt meiden. Auch den zu Critz und besonders den zu Mrs Morgan. Selbst wenn Washington brannte, ihm würde es egal sein. Tatsächlich hoffte er insgeheim, dass es so kommen möge.
    Von Barbados aus würde er dann nach Alaska fliegen, wo er die Welt auf seiner Ranch weiterhin ignorieren und auf den Frühling warten würde.
    »Sollen wir ihn begnadigen?«, fragte der Präsident.
    »Vermutlich schon«, antwortete Critz.
    Wenn vermeintlich unpopuläre Entscheidungen anstanden, sagte der Präsident immer »wir«, in unkomplizierten Fällen »ich«. Benötigte er Hilfe – und jemanden, dem er den schwarzen Peter zuschieben konnte –, ließ er Critz an der Entscheidungsfindung teilhaben.
    Vierzig Jahre lang hatte Critz den Sündenbock gespielt, und mittlerweile war er es leid. »Es ist gut möglich, dass wir jetzt nicht hier sitzen würden, wenn es Joel Backman nicht gegeben hätte«, bemerkte er schließlich.
    »Da könntest du Recht haben«, erwiderte Morgan, der stets geglaubt hatte, sein Amt seinem brillanten Wahlkampf, seiner charismatischen Persönlichkeit, seiner Sachkompetenz und seiner klaren Vision hinsichtlich der Zukunft Amerikas zu verdanken. Dass er jetzt zugab, Joel Backman etwas zu verdanken, hatte fast etwas Schockierendes an sich.
    Aber Critz war schon zu abgestumpft und müde, um sich noch schockieren zu lassen.
    Vor sechs Jahren hatte der Backman-Skandal einen Großteil der Hauptstadt erschüttert und schließlich auch das Weiße Haus erreicht. Die dunkle Wolke über dem Haupt eines populären Präsidenten wollte sich nicht mehr verziehen, und dadurch war Arthur Morgan der Weg ins Oval Office geebnet worden.
    Jetzt, wo er es verlassen musste, fand er Gefallen an der Vorstellung, sich mit einer Ohrfeige vom Washingtoner Establishment zu verabschieden, das ihm vier Jahre lang die kalte Schulter gezeigt hatte. Eine Begnadigung Joel Backmans würde in jedem Bürogebäude in Washington die Wände wackeln und diese Schwätzer von Journalisten förmlich durchdrehen lassen. Ja, die Idee war gut. Während er sich auf Barbados die Sonne auf den Bauch scheinen ließe, würde in Washington das Chaos ausbrechen – Kongressabgeordnete würden Anhörungen verlangen, Staatsanwälte vor den Kameras posieren und die unerträglichen Schwafelköpfe der TV-Sender ohne Punkt und Komma reden.
    Der Präsident lächelte in die Dunkelheit.
     
    Als sie auf der Arlington Memorial Bridge den Potomac überquerten, schenkte Hoby dem CIA-Direktor grünen Tee nach. »Danke«, sagte Maynard leise. »Was wird unser Freund morgen tun, wenn er nicht mehr im Amt ist?«
    »Das Land verlassen.«
    »Hätte er schon eher tun sollen.«
    »Er hat vor, einen Monat in der Karibik zu verbringen, wo er seine Wunden lecken, schmollen und die Außenwelt ignorieren will, bis sich wieder jemand für ihn interessiert.«
    »Und Mrs Morgan?«
    »Ist schon wieder in Delaware und spielt Bridge.«
    »Wird er sich von ihr
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