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Die Baeren entdecken das Feuer

Die Baeren entdecken das Feuer

Titel: Die Baeren entdecken das Feuer
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Montieren eines Reifens per Hand, nachdem man ihn in die Felge geschlagen oder gestemmt hat, ist das Einpassen und Auswuchten. Man macht das, indem man das Rad aufrecht hinstellt, sich daraufsetzt und es zwischen den Beinen auf und ab hüpfen läßt, während Luft in den Reifen strömt. Wenn sich die Wulst an die Felge anlegt, hört man ein erfreuliches ›Plop‹. Am Donnerstag schickte ich Wallace jr. nicht zur Schule, sondern zeigte ihm, wie das geht, bis er es richtig konnte. Dann kletterten wir über unseren Zaun und überquerten das Gelände, um einen Blick auf die Bären zu erhaschen.
    In Norden von Virginia, so berichtete Good Morning America, ließen die Bären ihr Feuer den ganzen Tag über brennen. Hier im Westen von Kentucky war es jedoch noch ziemlich warm für Ende Oktober, und sie versammelten sich nur nachts um die Feuer. Wo sie sich tagsüber aufhielten und was sie machten, weiß ich nicht. Vielleicht beobachteten sie aus dem Neubeeren-Gebüsch heraus, wie Wallace jr. und ich über die staatlichen Zäune kletterten und die nach Norden führenden Fahrbahnen überquerten. Ich hatte eine Axt dabei, und Wallace jr. hatte seine .22er mitgebracht, nicht weil er einen Bären töten wollte, sondern weil ein Junge einfach gern irgendeine Schußwaffe mit sich herumträgt. Der Mittelstreifen war zugewuchert von einem Gewirr aus Gestrüpp und Ranken, die unter den Ahornbäumen, Eichen und Platanen wuchsen. Obwohl wir nur ein paar hundert Meter vom Haus entfernt waren, war ich noch nie hier gewesen, ebensowenig wie irgend jemand anderes, den ich kannte. Es war wie in einer künstlich geschaffenen Landschaft. Wir entdeckten einen Pfad in der Mitte und folgten ihm über einen trägen, kurzen Wasserlauf, der aus einem Gitter heraus- und ins nächste hineinfloß. Die Spuren in dem grauen Schlamm waren die ersten Anzeichen von Bären, die wir zu Gesicht bekamen. Es herrschte ein muffiger, aber nicht ausgesprochen unangenehmer Geruch. In einer Lichtung unter einem hohlen Baum, wo das Feuer gebrannt hatte, fanden wir nur noch Asche. Holzklötze waren zu einem groben Kreis zusammengeschoben, und der Geruch war hier stärker. Ich stocherte in der Asche herum und fand genügend glühende Kohle, um damit eine neue Flamme zu entfachen, also schüttete ich sie wieder so zu, wie sie zurückgelassen worden war.
    Ich schnitt einen kleinen Ast als Glimmstab ab und schob ihn von einer Seite in den Aschehaufen, sozusagen aus nachbarschaftlicher Freundlichkeit.
    Vielleicht beobachteten uns die Bären auch in diesem Moment aus dem Gebüsch. Wer weiß. Ich probierte eine der Neubeeren und spuckte sie aus. Sie war so süß, daß es weh tat, ein Genuß genau nach dem Geschmack der Bären, wie man sich ihn vorstellt.
     
    An diesem Abend fragte ich Wallace jr. nach dem Essen, ob er vielleicht Lust hätte, mit mir zum Heim zu fahren, um Mutter zu besuchen. Es überraschte mich nicht, als er ja sagte. Kinder haben mehr Zartgefühl, als man ihnen gemeinhin zutraut. Als wir ankamen, saß sie auf der Betonterrasse am Vordereingang des Heims und beobachtete die auf der I-65 vorbeifahrenden Wagen. Die Schwester sagte, daß sie den ganzen Tag schon irgendwie erregt sei. Auch das überraschte mich nicht. Jeden Herbst, wenn sich die Blätter verfärben, wird sie aufs neue ruhelos, oder vielleicht wäre ›hoffnungsvoll‹ das richtige Wort.
    Ich führte sie in den Aufenthaltsraum und kämmte ihr das lange weiße Haar. »Im Fernsehen gibt es nichts anderes mehr als Bären«, beschwerte sich die Schwester, während sie durch die Kanäle schaltete. Nachdem die Schwester hinausgegangen war, nahm Wallace jr. die Fernbedienung in die Hand, und wir sahen von CBS oder NBC einen Sonderbericht über einige Jäger in Virginia, deren Häuser mit Fackeln in Brand gesteckt worden waren. Der Reporter interviewte einen Jäger und seine Frau, deren 117.000-Dollar-Haus im Shenandaoh Valley abgebrannt war. Sie gab den Bären die Schuld. Er gab nicht den Bären die Schuld, doch er forderte eine Entschädigung vom Staat, weil er im Besitz einer gültigen Jagderlaubnis war. Der staatliche Jagdbeauftragte kam zu Wort und erklärte, daß der Besitz einer Jagderlaubnis den Gejagten nicht verbot (›untersagte‹ war, glaube ich, das Wort, das er benutzte) zurückzuschlagen. Ich fand, das war eine ziemlich liberale Einstellung für einen Staatsbeauftragten. Natürlich hatte er ein rechtmäßiges Interesse daran, eine Schadenersatzforderung abzuwenden. Ich selbst bin kein
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