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Die Auserwaehlte

Die Auserwaehlte

Titel: Die Auserwaehlte
Autoren: Thomas Knip
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vorwärts trieb. Sei es, wie es will. Ohne auf den Unmut seiner Priesterschaft zu hören zog er weiter. Ein, zwei Monate.“
    Der Priester beugte sich vor und drehte den Becher gedankenverloren mit den Fingern.
    „Dann, als er selbst nicht mehr daran glaubte, dass ein Fortsetzen der Reise Sinn machte, stieß die Expedition auf etwas Unerwartetes. Alte, lange verlassene Städte, die tief in der Einöde verborgen lagen. Das Unvorstellbare jedoch war, dass sich auf Stelen und Mauern Inschriften fanden, die die Priester lesen konnten! Sie waren in der alten Schrift abgefasst, und vieles von ihnen ergab keinen Sinn. Dennoch …“, erneut suchte Menasseb den Blick des Weißen, „… es schien, als hätten die Götter selbst die Menschen in die Vergangenheit zurückgeführt. In eine Zeit, in der die Götter selbst noch in Menschengestalt die Welt bewohnten.“
    Ohne dass Talon bemerkt, wie der Ägypter nach dem Diener verlangte, tauchte dieser erneut auf und schenkte dem Priester nach, nur um dann wieder lautlos zu verschwinden.
    „Die Expedition glaubte, von den Göttern selbst dazu berufen worden zu sein und begann, den Ort wieder aufzubauen. Als die Gegend soweit gesichert war, zogen die Späher los, um das Umfeld zu erkunden. Und dabei stießen sie in dieses Tal vor. Groß war ihre Überraschung, als sie diesen Tempel hier vorfanden, von der Zeit kaum berührt. Sie wagten jedoch nicht, ihn zu betreten. Und so kehrten sie mit dem Hohepriester und einer Hand voll Soldaten an den Ort zurück.“
    Menasseb lehnte sich gegen die Mauer aus kühlendem Stein und schloss für einige Momente die Augen.
    „Und damit weckten sie einen Zorn, von dem die Menschen dachten, dass Ra ihn selbst begraben hatte. Sekhmet selbst lebte in diesem Tempel, vergessen von der Zeit. Eine Löwin, die wie der Wind ohne festen Leib war. Alleine gelassen in ihrem Blutrausch, den sie an den Menschen stillen sollte. Noch nie hatte der Hohepriester Menschen sterben sehen wie die Ähren auf dem Feld, wenn die Sichel sie mäht. In seiner Todesangst beschwor er den Segen von Anubis herbei, der ihm dem Weg ins Reich der Toten weisen sollte.“
    Talon stellte den Becher neben sich ab und verschränkte seine Hände. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er den Worten des Priesters ohne Probleme folgen konnte. Je länger dieser erzählt hatte, umso mehr waren die Worte und Klänge wie selbstverständlich für ihn geworden.
    Menasseb massierte mit den Fingern den Bereich um die Nasenwurzel.
    „Sekhmet hielt inne. Sie tötete den Hohepriester nicht. Stattdessen begann sie mit ihm zu sprechen. Die Tochter des Ra schlug ihm, dem einfachen Menschen, einen Handel vor. Sie war in ihrer körperlosen Form an diesen Tempel gebunden. Wenn der Hohepriester ihr einen Weg zurück in die Welt des Körperlichen bahnte, würde sie ihn und die seinen leben lassen.“
    Der Ägypter atmete schnaufend aus. „Kannst du dir vorstellen, was in ihm vorging? Eine Göttin sprach mit ihm. Ihm, der nur einen Auftrag des Pharao erfüllen wollte. Natürlich willigte er ein – schon, um zu überleben – und kehrte in das Lager zurück. Er musste all seine Autorität aufbieten, um die Expedition zu diesem Schritt zu überreden. Doch schließlich willigten die Menschen ein und zogen in dieses Tal.“
    Menasseb stand nun auf und lief mit langsamen Schritten auf und ab.
    „Die ganze Zeit jedoch suchte er nach einer Lösung, um der Macht Sekhmets Herr zu werden. Die Geschichte um Ra, der Sekhmet in Hathor verwandelte, um seine Rache für beendet zu erklären, war nicht mehr als eine Legende. So viel war ihnen nun allen bewusst. Der Hohepriester beschloss, dass es in ihrer Verantwortung lag, die Macht Sekhmets zu zähmen und die Welt vor ihrer Wut zu bewahren.
    Es war ein gewagtes Vorgehen. Unbemerkt von der Göttin brachten sie hier im Tempel Siegel und geweihte Skarabäen an, die die Kräfte Sekhmets im Zaum halten sollten. Jetzt benötigten sie nur noch eine Frau, die als Träger für die Göttin diente, und die Welt war vor ihrem Zorn sicher.“
    „Das heißt, eine der Frauen ‚durfte’ sich nun opfern“, warf Talon mit leichtem Spott ein.
    „Ich verstehe dich …“, setzte Menasseb kurz an und stellte überrascht fest, dass er den Worten des Weißen ohne Probleme folgen konnte. Dann fuhr er fort, ohne weiter darauf einzugehen.
    „Welche Wahl gab es denn?“, fragte ihn der Priester, und Talon hörte deutlich die Resignation in seinen Worten. „Sekhmet, gefangen im Leib einer
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