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Die Auserwaehlte

Die Auserwaehlte

Titel: Die Auserwaehlte
Autoren: Thomas Knip
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durch. Sein Blick ging weiter in die Richtung, in der sich das Dorf abzeichnete. Keine fünf Meter entfernt lag eine weitere Frau in einer verkrampften Haltung im Wasser, während der Oberkörper an der Seite eines Stapels Wäsche hing, die an dieser Stelle bereits blutdurchtränkt war.
    Geräusche, die auf einen Kampf hindeuteten, klangen vor ihm vom anderen Flussufer entfernt zu ihm herüber. Männer brüllten sich etwas zu, das Talon aus dieser Entfernung nicht verstehen konnte, Frauen schrien wild durcheinander.
    Nachdem er sicher war, dass er für die Opfer nichts mehr tun konnte, hetzte Talon durch das flache Wasser und erreichte die ersten Hütten. Die Anlage des Dorfes war nicht sehr groß. Drähte, die über schief stehende Pfosten in wenige der Hütten führten, zogen sich die Hauptstraße entlang und zeigten ihm den Weg zum Zentrum.
    Die lehmverputzten Hütten standen weit auseinander, jede von ihnen mit einem rustikalen, niedrigen Zaum aus ineinander geflochtenen Ästen abgetrennt. So konnte Talon bereits aus dieser Entfernung die Lage überblicken. Mehrere Ziegen standen angebunden im Schatten von Holzverschlägen und tänzelten nervös hin und her, während sie ihren Unmut mit einem lang gezogenen Meckern unterstrichen.
    Eine Frau, die gerade ihre Hütte erreichte, sah den Fremden voller Entsetzen an und schrie leise auf, während sie sich im Inneren der Unterkunft zu verbarrikadieren versuchte und die schiefe Holztür hinter sich zuzog.
    Dann endlich öffnete sich die Fläche vor ihm und erlaubte ihm einen freien Blick.
    Mehrere Männer standen im Halbkreis um einen Lastwagen, dessen rostgeprägte Ladefläche mit zahlreichen Baumstämmen beladen war. Sie waren bewaffnet mit Erntemessern und Äxten und gingen wild entschlossen auf die schlanke Gestalt zu, die sich in gut zwei Metern Höhe an einem der aufgeladenen Stämme verkrallt gegen die Menschen zur Wehr setzte.
    Talon überraschte es nicht wirklich, das Wesen aus mehreren Wunden bluten zu sehen. Auch er hatte feststellen können, dass diese Göttin offensichtlich verletzbar war. Doch das, was Nayla nun tat, stellte ihn vor eine völlig neue Herausforderung. Ob sie ihn wirklich gesehen hatte oder ihn nur instinktiv wahrnahm, vermochte er nicht zu sagen. Mit wenigen Sätzen jedoch sprang sie über die Reihen der Gegner hinweg und hastete auf Talon zu. Ihre Schritte wirkten schwer, dennoch kraftvoll und von ungebeugtem Willen erfüllt.
    Je näher sie ihm jedoch kam, desto mehr tänzelte sie und geriet ins Straucheln. Gleichzeitig konnte Talon sehen, wie der Körper mehr und mehr an Fremdartigkeit verlor und sich die Formen einer jungen Frau abzeichneten.
    Die junge Schwarze sah Talon aus müden, abgekämpften Augen an und lächelte nur matt. Zwei Schritt vor ihm knickten ihre Beine ein, und sie sackte kraftlos zu Boden. Mühevoll stützte sie ihren Oberkörper für einen Moment auf die dünnen Arme auf, dann brach sie bewusstlos zusammen.
    Der Weiße sah sich nun den Männern gegenüber, die ihm nicht minder feindselig begegneten als dem regungslos am Boden liegenden Mädchen vor ihm. Talons Atem ging schwer. Die Jagd durch den Dschungel hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er es sich bisher eingestanden hatte. Und er fühlte, dass ihm für eine Flucht die Kraft fehlte. Vor allem, falls er vorhatte, Nayla mit sich zu tragen.
    Er schüttelte den Kopf und lächelte in einem Anflug von Resignation. Die Männer sahen mit ihren versteinerten Mienen auf die beiden Fremden und schlossen den Kreis weiter um sie. Doch plötzlich hielten sie inne und wichen einen Schritt zurück. Die Äxte und Messer, die bedrohlich in die Höhe gehoben worden waren, sanken nun zu Boden.
    Talon hörte das gleichmäßige, hastige Geräusch aufeinander schlagenden Metalls hinter sich und schloss für einen Moment die Augen. Die Schatten sichelartig geschwungener Speerspitzen fielen über seinen Kopf hinweg auf den staubigen Boden, der ihn von den Dorfbewohnern trennte.
    Als er Nefer neben sich erkannte, streckte er ihm ermattet die Hand entgegen.

    Fortsetzung folgt in

    Talon Nummer 22

    „Nacht der Wahrheit“

    © Copyright aller Beiträge 2005 by Thomas Knip. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung. Kontakt unter [email protected] .

    Talon erscheint als eBook kostenlos auf www.talon-abenteuer.de
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