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Die Arena

Titel: Die Arena
Autoren: Stephen King
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Boden.
    Myra sagte noch einmal seinen Namen, wieder mit dieser dünnen, zittrigen Kinderstimme.
    »Was ist passiert? Myra, was hast du?«
    »Hatte einen Unfall«, sagte sie und zeigte ihm ihre rechte Hand.
    Nur gab es keinen erdigen rechten Gartenhandschuh als Gegenstück zu dem linken und auch keine rechte Hand. Nur einen stark blutenden Armstumpf. Sie bedachte ihn mit einem schwachen Lächeln und sagte: »Ups!« Dann verdrehte sie die Augen, so dass das Weiße sichtbar war. Der Schritt ihrer Gärtnerjeans wurde dunkel, als ihre Blase sich entleerte. Dann gaben ihre Knie nach, und sie sackte zusammen. Das aus ihrem Armstumpf - ein Querschnitt wie aus einem Anatomielehrbuch - schießende Blut vermischte sich mit dem auf dem Boden verspritzten Omelemeig.
    Als Jack sich neben ihr auf die Knie fallen ließ, bohrte sich ein Splitter der Schüssel tief in sein Knie. Das merkte er kaum, obwohl er als Folge dieser Verletzung für den Rest seines Lebens hinken würde. Er packte ihren Arm und drückte zu. Der grausige Blutstrom aus ihrem Handgelenk nahm ab, ohne aber zu versiegen. Er riss seinen Gürtel aus den Schlaufen, schlang ihn um ihren Unterarm und zog ihn straff an. Das wirkte, aber er konnte den Gürtel nicht fixieren, die Schlinge war viel zu weit von der Schnalle entfernt.
    »Jesus«, sagte er zu der leeren Küche. »Jesus.« Ihm fiel auf, dass es dunkler war als zuvor. Der Strom war ausgefallen. Er konnte den leise bimmelnden Notruf des Computers im Arbeitszimmer hören. LCD Soundsystem spielten weiter, weil die kleine Boombox auf der Arbeitsplatte mit Batterien lief. Nicht dass Jack sich jetzt darum geschert hätte; er hatte keine Lust mehr auf Techno.
    So viel Blut. So viel.
    Fragen, wie sie ihre Hand verloren hatte, traten in den Hintergrund. Er hatte dringendere Sorgen. Er durfte den Gürtel, mit dem er ihr den Arm abgebunden hatte, nicht loslassen, um ans Telefon zu gehen; sie würde wieder zu bluten anfangen und war vielleicht ohnehin schon fast verblutet. Sie würde mitgehen müssen. Er wollte sie an der Bluse mitschleifen, aber die wurde erst aus ihren Jeans gerissen, und dann begann der Kragen, sie zu würgen - er hörte sie nach Atem ringen. Also grub er eine Hand in ihre langen braunen Haare und schleppte sie auf Höhlenmenschenart ans Telefon.
    Es war ein Mobiltelefon, und es funktionierte. Er wählte die 911. Die Notrufnummer war besetzt.
    »Das kann nicht sein!«, rief er in die leere Küche, in der jetzt kein Licht mehr brannte (obwohl die Band in der Boombox weiterspielte). »Scheiße, die 911 kann nicht besetzt sein!«
    Er drückte auf Wahlwiederholung.
    Besetzt.
    Er saß mit dem Rücken an einen Schrank gelehnt auf dem Fußboden, hielt den als Kompresse dienenden Gürtel möglichst straff gespannt, starrte die Mischung aus Blut und Teig auf dem Boden an, betätigte gelegentlich die Wahlwiederholung und hörte jedes Mal das gleiche dämliche Dah-dah-dah. Irgendwo nicht allzu weit entfernt ging etwas hoch, aber das bekam er wegen der Musik, die echt laut war, kaum mit (und die Explosion der Seneca war ihm komplett entgangen). Er hätte die Musik gern ausgestellt, aber um die Boombox zu erreichen, hätte er Myra hochheben müssen. Sie hochheben oder den Gürtel für zwei bis drei Sekunden loslassen müssen. Beides wollte er nicht. Also saß er da, und auf »North American Scum« folgte »Someone Great«, und auf »Someone Great« folgte »All My Friends«, und nach ein paar weiteren Liedern war die CD, die Sound of Silver hieß, schließlich zu Ende. Als bis auf die Polizeisirenen in der Ferne und den hartnäckig bimmelnden Computer ganz in der Nähe endlich Stille herrschte, merkte Jack, dass seine Frau nicht mehr atmete.
    Aber  ich wollte doch Mittagessen machen, dachte er. Einen hübschen Lunch, zu dem du ohne weiteres Martha Stewart hättest einladen können.
    Sitzend gegen den Küchentresen gelehnt, den noch immer straff angezogenen Gürtel fest im Griff (die Finger zu strecken, würde sich als grausam schmerzhaft erweisen), sein unteres rechtes Hosenbein von Blut aus seiner Knieverletzung dunkel verfärbt, hielt Jack Evans den Kopf seiner Frau an seine Brust gedrückt und begann zu weinen.
     
    4
     
    Nicht allzu weit entfernt, auf einer aufgegebenen Forststraße, an die selbst der alte Clay Brassey sich nicht hätte erinnern können, äste eine Hirschkuh am Rand des als Prestile Marsh bekannten Sumpfgebiets saftige Schösslinge. Ihr Hals war zufällig über die Grenze nach Motton
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