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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin
Autoren: Ingrid Noll
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verschwand.
    »Was ist?« sagte ich und sah in strahlende Augen. »Möchtest du in eine Wohngemeinschaft ziehen?« fragte er.
    Nur das nicht, war mein erster Gedanke. Ich hatte es endlich geschafft, meine kleine Wohnung ordentlich und frei von Schmarotzern zu halten, diesen Luxus wollte ich nur für eine eigene Familie aufgeben. Ich schüttelte heftig den Kopf.
    »Aber hör mir doch erst einmal zu«, beschwor mich Levin, »ich habe eine königliche Wohnung nur für uns beide an der Hand, traumhaft gut!«
    Mit seinen schönen Händen zeichnete Levin einen Plan, so exakt wie ein gelernter Architekt.
»Kein Balkon?« fragte ich enttäuscht.
»Nicht direkt«, sagte Levin, »die Wohnung liegt in Schwetzingen, drei Minuten vom Schloßpark entfernt. Du kannst also wie eine Fürstin auf weißen Bänken ruhen, Wasserspiele bewundern, Enten füttern und alle Premieren im Barocktheater besuchen!«
    Wir mieteten die große Altbauwohnung. Durch hohe Sprossenfenster fiel das Licht auf Holzböden; Tamerlan konnte an den Stämmen einer Waldrebe in den Garten klettern und ein freies Katerleben führen. Doch außer einem Balkon fehlte mir bald noch etwas anderes: meine Ruhe. Bisher hatten sich Levins Besuche immer nur auf einige Stunden ausgedehnt, meistens blieb er nicht über Nacht.
    Wenn ich jetzt heimkam, war er stets schon da, was aber keineswegs bedeutete, daß der Teekessel summte. Dafür dröhnte das Radio, lief der Fernseher, und Levin telefonierte.
    »Was gibt es zu essen?« fragte er zur Begrüßung.
Ich wollte es ja selbst nicht anders. Natürlich habe ich für ihn gewaschen, gekocht, eingekauft und die Miete bezahlt. Selbstverständlich nahm er mein Auto, wann immer er es
    brauchte.
    Nach einem besonders anstrengenden Tag schalt ich ihn einmal wie einen schlampigen Sohn. Dabei war Levin nicht wirklich unordentlich, er nahm nur allen Raum ein. In meinen beiden Zimmern lagen stets eine Menge Gegenstände, die nichts mit mir zu tun hatten, während sein Zimmer fast unbewohnt aussah.
    »Du bist manchmal wie ein Kind«, sagte ich und küßte ihn. »Magst du keine Kinder?« fragte er.
Ich mußte schlucken.
»Natürlich mag ich Kinder - jede normale Frau will Kinder.« Levin schien zu überlegen. »Möchtest du dir eins
    anschaffen?« fragte er. Es klang, als wollte er zusätzlich zum Kätzchen noch einen kleinen Hund besorgen.

    »Später«, sagte ich. Ich wollte kein uneheliches Kind, sondern eine richtige Familie.
    Mindestens einmal in der Woche fuhren wir zu Levins Großvater nach Viernheim. Ich hatte ursprünglich ein Altersheim erwartet und war verwundert, ein Haus zu betreten, das den Namen »Villa« verdiente. Der alte Mann wohnte allein, wurde allerdings von ständig wechselnden Haushälterinnen versorgt. Levin führte das auf die vorsintflutlichen Gehaltsvorstellungen seines Opas zurück.
    Wahrscheinlich kannte sich der Großvater in den heutigen Preisen nicht aus und lebte in dem Wahn, alle Welt wolle ihn übers Ohr hauen. Levin war nicht besonders gut auf ihn zu sprechen, kümmerte sich aber pflichtbewußt um Haus und Garten, fuhr ihn zum Arzt und zur Bank und schnitt seine Fußnägel. Mit der Zeit erledigte auch ich Dinge, zu denen die Haushälterin nicht imstande war - tippte Briefe, füllte Formulare aus, sortierte Wäsche und besorgte Vorräte für die Tiefkühltruhe. Ein anderer Opa hätte sich vielleicht nicht bloß mit dürren Worten bedankt, sondern mit einer kleinen Aufmerksamkeit. Um so höher rechnete ich es Levin an, daß er
- wenn auch murrend - weiterhin für den Großvater sorgte.
    Als ich einmal mit ihm allein war - Levin brachte den Rasenmäher zur Reparatur -, versuchte ich, ihm die miese finanzielle Situation seines Enkels klarzumachen.
    Hermann Graber, so hieß er, sah mich verdrossen an. »Sie halten mich für einen alten Geizkragen«, sagte er und spülte seine dritten Zähne unauffällig (wie er dachte) mit einem Mundvoll Kaffee. »Sie haben erfahren, daß ich reich bin. Aber Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß dieser arme Enkel meinen neuen Mercedes zu Schrott gefahren hat. Wenn er hier unentgeltlich einige kleine Arbeiten verrichtet und darüber klagen sollte, dann werde ich mein Geld lieber einem Waisenkind vererben.«
    › Das ist Erpressung‹, dachte ich empört und legte ihm
    Kuchen nach auf seinen mit Alpenblumen bemalten Teller. »Und es ist auch noch die Frage«, fuhr er fort, »ob die zwei
letzten Hausmädchen oder mein Enkel Silber und Gold
davongetragen haben…«
Ich wurde rot
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