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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin
Autoren: Ingrid Noll
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anderes, was uns trennte, aber ich konnte es gar nicht so genau benennen. Seine Autoleidenschaft nahm ich nicht allzu ernst, aber eine gewisse Oberflächlichkeit stieß mir gelegentlich unangenehm auf. Auch mit seiner Begeisterungsfähigkeit war es nicht weit her, und sie richtete sich in der Regel auf äußerliche Dinge.
Aber wenn ich mit Levin an einem sonnigen Sonntag ins Elsaß zum Essen fuhr, dann fand ich das Leben herrlich.
    Eines Nachmittags, als wir auf dem Sofa saßen und selbstgebackenen Kirschkuchen aßen, kam Dorit mit ihren Kindern zu Besuch - wahrscheinlich, um unsere Idylle zu begutachten. Die Kinder stritten sich sofort, wer den Kater streicheln dürfe.
    »So süße Kinder habe ich noch nie gesehen«, sagte Levin, obgleich Franz seiner Schwester ein Büschel Haare ausgerissen hatte und Tamerlan sich fauchend auf den Schrank rettete.
    Dorit war noch nie schüchtern gewesen. Mit rostiger Gießkannenstimme fragte sie meinen jungen Freund ungeniert: »Wie viele Kinder willst du einmal haben?«
    Ich wurde so rot, daß ich mich der Katze zuwandte, ich konnte Levin nicht ansehen.
Er antwortete gelassen: »Wahrscheinlich zwei.«
Ich hätte ihn umhalsen und küssen können, aber wer sagte, daß er mich als Mutter dieser beiden Kinder plante?
Als Levin die Kaffeekanne in die Küche trug, zwinkerte mir Dorit zu, und ich machte ihr ein Zeichen, daß ich sie erwürgen könnte.
Trotzdem vertraute ich ihr an - da ich es ja über kurz oder lang doch erzählen mußte -, daß ich in Kürze ganztags in der Apotheke arbeiten würde - vorerst als Schwangerschaftsvertretung für eine Kollegin -, und daß meine Dissertation so lange auf Eis gelegt werde. Ich sagte ihr aber kein Wort davon, daß ich begonnen hatte, Levins Doktorarbeit zu tippen. Genau das hatte nicht passieren sollen; aber als er mich bat, ihm meinen Computer zu erklären, stellte er sich - milde gesagt - ziemlich dumm an. Levin, der geschickte Bastler, hatte mit einem PC noch nie etwas anderes angestellt als Kinderspiele.
Und doch muß ich gestehen, daß ich glücklich war. Obgleich mir die Thematik fremd war, erschien mir seine Arbeit leichter als die meine. Ich wälzte Fachbücher und lernte ganz neue Aspekte des menschlichen Kiefers kennen. Selbst heute, wo einige Zeit vergangen ist, könnte ich noch ein kleines Referat über »Silikonabdruckmaterialien und ihre Anwendung im Mundbereich« halten.
Wahrscheinlich wurde ich durch Vaters Vegetariertum eine große Liebhaberin von Fleischgerichten, wenn ich auch inzwischen weiß, daß allzuviel ungesund ist. Hundert Gramm pro Person, mehr kaufe ich nicht ein; allerdings machte ich für einen jungen hungrigen Mann schon einmal eine Ausnahme. Und wenn wir uns dann gemeinsam über ein gigantisches TBone-Steak hermachten, waren wir in bester Laune.
Eines Tages brachte mir Levin ein Tranchiermesser und eine Vorlegegabel mit, Familiensilber mit Monogramm. Gerührt betrachtete ich das zarte Muster aus griechischen Flechtbändern, die verschlungenen Initialen und die kleinen Alltagsspuren, die drei Generationen auf der Messerschneide zurückgelassen hatten.
»Wunderschön«, sagte ich, »kaum zu glauben, daß sich dein Großvater davon getrennt hat.«
»Nicht direkt«, sagte Levin und machte das Messer mit einem Wetzstahl scharf; der Großvater brauche doch solche Sachen nicht mehr, schließlich habe er eine schlechtsitzende Zahnprothese - aus Geiz -, und seine Fleischspeisen müßten butterweich zerkocht werden.
»Das ist mir nicht recht«, sagte ich entschieden, »an geklauten Sachen habe ich wenig Freude, bring ihm alles wieder zurück.«
Levin lachte mich aus: Er erbe doch sowieso; sollte man das schöne Silber vor sich hin gammeln lassen?
Ich gab auf, hielt die Sache für einen verspäteten Lausbubenstreich und gewöhnte mich rasch an die Besteckteile, die sich mit der Zeit vermehrten.
    Meine Freundin Dorit spottete immer, wenn ich ihr über die Nichtigkeit aller materiellen Werte eine Predigt hielt; Dorit gestand unverblümt, daß sie gern teuer einkaufte. Sie unterstellte mir Unaufrichtigkeit. Aber man sollte es eher Understatement nennen: Ich hasse Protz. Doch für ganz kleine Gegenstände einen Tausender springen zu lassen -ein japanisches Netsuke-Figürchen etwa, einen zierlichen Jugendstilring aus Perlen und Email, eine Handtasche der Sonderklasse -, das reizt mich schon. Daher hatte ich Levin auch keine wirklichen Vorwürfe gemacht, als er mir Schmuck seiner Großmutter brachte. Es waren bescheidene
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