Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
haben und als alle meinten, man könnte sich keinen besseren Ort zum Leben denken. Jedenfalls haben sie mir das weismachen wollen, als ich eingewiesen wurde. Psychiatrische Einrichtung nach den modernsten Erkenntnissen. Die beste Behandlungsmethode für Geisteskranke in einem häuslichen Umfeld. Was für eine Lüge.«
    Er hielt den Atem an und fügte hinzu: »Eine verdammte Lüge.«
    Jetzt war es an mir, zustimmend zu nicken.
    »Geht es darum, ich meine, in deiner Rede?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass sie etwas in der Art hören wollen. Ich glaube, es ist besser, ihnen was Nettes zu sagen. Was Positives. Ich werde eine krasse Unwahrheit an die andere reihen.«
    Ich dachte einen Moment lang darüber nach und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. »Das ist vielleicht ein Zeichen geistiger Normalität«, sagte ich.
    Napoleon lachte. »Ich hoffe, du hast Recht.«
    Wir schwiegen beide ein paar Sekunden lang, dann flüsterte er in wehmütigem Ton: »Ich werd ihnen auch nichts von den Morden erzählen. Und kein Sterbenswörtchen über Fireman oder diese Ermittlerin, die uns einen Besuch abgestattet hat, oder irgendetwas von dem, was am Ende passiert ist.« Er sah die Amherst-Fassade hoch und fügte hinzu: »Wär sowieso eigentlich deine Geschichte.«
    Ich antwortete nicht.
    Napoleon schwieg einen Moment lang und fragte mich dann: »Denkst du noch mal an die Sachen, die damals passiert sind?«
    Ich schüttelte den Kopf, doch wir wussten beide, dass es gelogen war. »Ich träume davon, ab und zu«, sagte ich. »Aber es ist nicht leicht, zwischen Erinnerung und Einbildung zu unterscheiden.«
    »Das leuchtet ein«, sagte er. »Weißt du, eines hat mir immer zu schaffen gemacht«, fuhr er langsam fort, »ich hab nie erfahren, wo sie die Leute begraben haben. Die Leute, die hier gestorben sind. Ich meine, eben noch waren sie im Tagesraum und hingen wie alle anderen in den Fluren herum, und im nächsten Moment sind sie vielleicht schon tot. Und dann? Hast du je mitbekommen, was sie mit ihnen gemacht haben?«
    »Ja«, sagte ich nach kurzer Überlegung. »Sie hatten drüben am Rand des Klinikgeländes einen kleinen provisorischen Friedhof, hinter der Verwaltung und Harvard, Richtung Wald. Er schloss sich direkt an den kleinen Garten an. Ich glaube, jetzt ist er im Fußballplatz einer Jugendmannschaft aufgegangen.«
    Napoleon wischte sich über die Stirn. »Ich bin froh, das zu hören«, sagte er. »Hab mich das immer gefragt. Jetzt weiß ich Bescheid.«
    Wieder schwiegen wir eine Weile, dann sagte er: »Weißt du, welche Lektion ich am meisten gehasst habe? Hinterher, als alles vorbei war, nach unserer Entlassung, als wir zur ambulanten Behandlung diesen anderen Kliniken zugewiesen wurden und die modernere Behandlung und die neuen Medikamente bekamen – weißt du, was ich da gehasst habe?«
    »Was?«
    »Dass diese Illusion, an die ich mich all die Jahre so hartnäckig geklammert hatte, nicht nur eine Illusion war, sondern sogar eine weit verbreitete Illusion. Dass ich nicht der Einzige war, der sich für eine Reinkarnation des französischen Kaisers hielt. Ich bin überzeugt, dass Paris packevoll von denen ist. Diese Einsicht war mir absolut zuwider. In meinem Zustand war ich etwas Besonderes, Einmaliges. Und jetzt bin ich nur ein ganz gewöhnlicher Typ, der die ganze Zeit Pillen nehmen muss und dem ständig die Hände zittern, der mit Ach und Krach die einfachsten Tätigkeiten auf die Reihe kriegt und dessen Familie sich wahrscheinlich wünscht, dass er es irgendwie schafft, von der Bildfläche zu verschwinden. Ich wüsste gerne, was
pfui Teufel
auf Französisch heißt.«
    Ich dachte darüber nach. »Also, ich für meinen Teil fand immer, dass du ein verdammt guter französischer Kaiser warst. Klischee hin, Klischee her. Und wenn tatsächlich du bei Waterloo die Truppen befehligt hättest, also, dann hättest du, verflucht noch mal, gewonnen.«
    Er kicherte erleichtert. »C-Bird, wir haben alle immer gewusst, dass du unsere Umgebung schärfer beobachtet hast als irgendjemand sonst. Die Leute mochten dich, auch wenn wir alle unsere Hirngespinste hatten und irre waren.«
    »Freut mich zu hören.«
    »Was ist eigentlich mit Fireman? Er war dein Freund. Was ist aus ihm geworden? Ich meine, später?«
    Ich überlegte einen Moment, bevor ich sagte: »Er ist rausgekommen. Hat alle seine Probleme ausgebügelt, ist in den Süden gezogen und hat eine Menge Geld verdient. Familie. Großes Haus. Großer Wagen. War
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher