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Die Amerikanerin

Die Amerikanerin

Titel: Die Amerikanerin
Autoren: Petra Durst-Benning
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wieder statt. Aber du brauchst mich jetzt! Du meine Güte, wenn ich daran denke, dass du allein mit Sylvie …« Er brach abrupt ab, dann hob er zögerlich wieder an: »Es … könnte höchstens sein, dass ich es morgen noch nicht schaffe. Aber spätestens übermorgen bin ich bei euch, und wir –«
    »Nein!«, unterbrach ihn Wanda. »Bitte sprich nicht weiter. Natürlich sehne ich mich nach dir! Aber im Augenblick will ich vor allem auf dem schnellsten Weg nach Lauscha. Dort sind Johanna und Eva, die beiden werden mir helfen, verstehst du? Ganz wohl ist mir mit der Kleinen nicht. Was weiß ich denn schon von Babys?« Sie lachte unbeholfen auf. Richard schien das Gesagte erst einmal verdauen zu müssen. Dann folgte ein tiefer Seufzer.
    »Wenn du meinst … Ehrlich gesagt, sind für die nächsten Tage noch ein paar wichtige Begegnungen mit Leuten vorgesehen, die sich meine Sachen anschauen wollen. Und jetzt, wo wir zu dritt sind, können wir schließlich jede Mark gebrauchen, nicht wahr?«
    »Und ob!«, presste Wanda zwischen Tränen hervor.
    »Aber bis nächsten Sonntag bleibe ich trotzdem nicht hier. So bald wie möglich reise ich ab. Ich … du fehlst mir so! Arme Wanda … Ich möchte bei dir sein und dich ganz fest halten. Für immer.«
    Das wollte sie auch. »Ich liebe dich«, flüsterte sie in den Telefonhörer.
    »Und ich liebe dich«, kam es knackend zurück.Am nächsten Morgen waren Wandas Augen rot gerändert und brannten. Das Gespräch mit Richard hatte erneut alle Tränenschleusen geöffnet. Doch dieses Mal hatte ihr Weinkrampf etwas Reinigendes gehabt, und die darauf folgende Erschöpfung wirkte auf seltsame Art sogar wohltuend. Es war, als ob dem Schmerz um Marie die schärfsten Spitzen genommen worden waren.
    Richard würde für sie da sein. Seine Liebe würde ihren Schmerz heilen, das wusste sie nun. Daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Während die Tiroler Landschaft an ihr vorbeiraste, dankte sie ihrem Schicksal dafür, dass die Telefonverbindung am Vorabend zustande gekommen war. Trotzdem graute es ihr davor, Johanna und den anderen die schrecklichen Nachrichten übermitteln zu müssen. Sie hatte wenigstens die Gelegenheit gehabt, sich von Marie zu verabschieden – und wie schwer war es ihr trotzdem gefallen! Würde es für die anderen nicht fast unmöglich sein, den Verlust zu akzeptieren? Trotzdem – sie mussten Bescheid wissen, je früher, desto besser. Dasselbe galt für ihre Mutter. Vielleicht, wenn sich die Gelegenheit ergab, würde sie schon heute Abend von München aus in New York anrufen.
    Wie Vater und Mutter würden sie für Sylvie sorgen, hatte Richard gesagt. Vater und Mutter – aus seinem Mund hatte das noch ziemlich fremd geklungen. Würde jeder Mann derart rasch einwilligen, das Kind von »Fremden« aufzunehmen?, fragte sich Wanda. Wie hätte Harold reagiert? Zögernd, mit tausend Fragen und Zweifeln. Doch was hatte Richard in seiner praktischen Art gesagt? »Jetzt, wo wir zu dritt sind, können wir jede Mark gebrauchen.« Wanda lächelte. Wie gut, dass er so praktisch veranlagt war. Mit ihm konnte sie voll Zuversicht in die Zukunft schauen.
    Zuversicht … Vorsichtig dachte Wanda über das Wort nach. Doch, so konnte man diese kleine, warme Flamme in ihrem Innersten nennen, die gestern noch nicht da gewesen war.
    Nachdem sich Wanda vergewissert hatte, dass Sylvie ruhig und zufrieden in ihrem Tragekorb schlief, schloss auch sie die Augen. Das gleichmäßige Tuckern des Zuges lullte sie ein, und sie fiel in eine Art Halbschlaf, aus dem sie jedoch kurze Zeit später schon wieder erwachte. Als Erstes fiel ihr Blick auf den Babykorb. Alles in Ordnung.

    In München angekommen, ließ Wanda sich von einer Droschke zum besten Hotel der Stadt fahren. Für eine Nacht in einer der luxuriösen Suiten reichte ihre Reisekasse gerade noch. Die letzte Nacht unterwegs, frohlockte Wanda, während sie dem Pagen ins Zimmer folgte. Aus dem Augenwinkel registrierte sie die königsblauen schweren Seidenvorhänge, das riesige Bett, in dem eine ganze Familie hätte nächtigen können, und die edlen Perserteppiche, die auf dem glänzenden Parkettboden verteilt waren. Doch viel Zeit, um den Luxus ihrer Unterkunft zu genießen, hatte sie nicht. Eilig sortierte sie ihr geschrumpftes Gepäck und zählte ihr Geld nach. Dann wusch sie Sylvie. Nachdem diese satt und zufrieden, nur mit einem dünnen Tuch zugedeckt, in der Mitte des Bettes lag, klingelte Wanda nach der Hausdame. Überrascht stellte
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