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Die alte Jungfer (German Edition)

Die alte Jungfer (German Edition)

Titel: Die alte Jungfer (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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silbernem Kreuz und war bekrönt mit dem Ritterhelm. Die Devise war: Valeo. Mit diesem edlen Wappen durfte und konnte der Bastard der Valois alle königlichen Karossen der Welt besteigen. Viele Leute haben die behagliche Existenz dieses alten Junggesellen, die an gutgespielten Boston-, Tricktrack-, Reversi-, Whist- und Pikettpartien, an gut verdauten Diners, anmutig geschnupften Tabakprisen und angenehmen Spaziergängen reich war, beneidet. Fast ganz Alençon glaubte, daß dieses Leben frei von Ehrgeiz und ernsteren Interessen gewesen sei; aber kein Mensch hat ein so ruhiges Leben, wie es die Neider hinstellen. Man wird in den weltvergessensten Winkeln menschliche Mollusken, anscheinend tote Rädertierchen finden, die eine Leidenschaft für Schmetterlinge oder Muscheltiere haben und sich unendlichen Leiden aussetzen, um irgendeinen Falter oder die Concha veneris zu erlangen. Der Chevalier führte nicht nur sein zurückgezogenes Muscheldasein, sondern er nährte auch einen ehrgeizigen Wunsch, den er mit einer Beharrlichkeit verfolgte, die des Papstes Sixtus V. würdig gewesen wäre: et wollte sich mit einer reichen alten Jungfer verheiraten, ohne Zweifel in der Absicht, sich auf diese Weise Zutritt zu den höheren Sphären des Hofes zu verschaffen. Dies war das Geheimnis seiner königlichen Haltung und seines Aufenthaltes in Alençon.
    An einem Mittwoch zu sehr früher Stunde, gegen Mitte des Frühlings anno 16 – dies war seine Art zu reden –, hörte der Chevalier im Augenblick, als er seinen Schlafrock aus grüngeblümtem alten Damast anzog, trotz der Watte in seinen Ohren, den leichten Schritt eines jungen Mädchens, das die Treppe heraufkam. Drei sanfte Schläge ertönten an seiner Tür; dann glitt eine junge Schöne, ohne eine Antwort abzuwarten, wie ein Aal in das Zimmer des alten Junggesellen.
    »Ach, du bist es, Suzanne!« sagte der Chevalier de Valois, ohne sich in seinem Geschäft, das darin bestand, daß er die Klinge seines Rasiermessers an einem Riemen abzog, zu unterbrechen. »Was willst du hier, kleiner süßer Schelm?«
    »Ich komme, um Ihnen etwas zu sagen, was Ihnen vielleicht ebensoviel Vergnügen als Kummer machen wird.«
    »Handelt es sich um Cesarine?«
    »Ich kümmere mich viel um Ihre Cesarine!« versetzte sie mit einer Miene, die schmollend, ernst und sorglos zugleich war.
    Diese reizende Suzanne, deren komisches Abenteuer einen so großen Einfluß auf das Schicksal der Hauptpersonen dieser Geschichte üben sollte, war eine Arbeiterin von Madame Lardot.
    Ein Wort zuvor über die Topographie des Hauses. Die Arbeitsräume nahmen das ganze Erdgeschoß ein. Der kleine Hof diente dazu, daß dort auf Leinen die gestickten Taschentücher, die Kragen, Spenzer, Manschetten, die Hemden mit gefältelten Krausen, die Krawatten, die Spitzen, die gestickten Kleider, all die feine Wäsche der besten Häuser der Stadt zum Trocknen aufgehängt wurden. Der Chevalier behauptete, an der Zahl der Untertaillen der Frau des Obersteuereinnehmers ihre Liebesränke verfolgen zu können, denn bestimmte Hemden mit Krausen und Krawatten standen in Wechselbeziehung zu den Untertaillen und Spitzenkragen. Obwohl also der Chevalier an dieser wechselseitigen Übereinstimmung alle Rendezvous der Stadt erraten konnte, so beging er doch niemals eine Indiskretion; er bildete niemals ein verfängliches Epigramm, was ihm die Tür eines Hauses verschlossen hätte (und er hatte Witz!). Man muß Monsieur de Valois durchaus für einen Mann von überlegener Lebensart halten, dessen Talente sich nur leider, wie die vieler anderer, in der Enge der Lebensumstände verloren haben. Nur erlaubte sich der Chevalier – schließlich war er doch ein Mann – manchmal gewisse bedeutsame Blicke, die die Frauen erzittern machten; doch liebten sie ihn um so mehr, nachdem sie erkannt hatten, wie tief seine Verschwiegenheit und wie groß seine Vorliebe für die reizenden Schwächen war. Die Erste Arbeiterin, das Faktotum der Madame Lardot, ein altes Mädchen von fünfundvierzig Jahren, die zum Erschrecken häßlich war, wohnte Tür an Tür mit dem Chevalier. Über ihnen waren nur noch Dachstuben, wo die Wäsche im Winter trocknete. Jede Wohnung bestand, wie die des Chevaliers, aus zwei hellen Zimmern, von denen das eine auf den Hof, das andere auf die Straße ging. Unter dem Chevalier wohnte ein alter Paralytiker, der Großvater Madame Lardots, namens Grévin, ein ehemaliger Seeräuber, der unter dem Admiral Simeuse in Indien gedient hatte; er war
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