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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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Mühe, ihm zu folgen. Der Regen der letzten Wochen hatte den Boden aufgeweicht und ließ die Hufe der Pferde im Schlamm versinken.
    Den Blick fest auf die Fackel vor ihr geheftet, fragte sich Elysa, ob der Kanonikus in seiner Wahl nicht geirrt hatte. Zumindest in ihrer Menschenkenntnis schien sie fehlbar, hatte sie doch die Tugenden des Geistlichen bei weitem unterschätzt, auch wenn er sie soeben dazu aufgefordert hatte, gegen eines der Gebote zu verstoßen.
    Der Weg veränderte sich, aus Schlamm wurde Kopfsteinpflaster. Das plötzliche Klappern der Hufe war laut und fand einen Widerhall. Fast unmerklich waren sie dem Kloster näher gekommen, das wie eine kleine graue Festung im Dunkeln lag. Elysa betrachtete die Klostermauer, die aus unregelmäßigen Steinquadern bestand und von der überraschend großen Klosterkirche weit überragt wurde.
    Der Kanonikus drosselte die Gangart. Erst als sie schon fast am Torhaus ankamen, wandte er sich zu ihr um.
    »Und wie habt Ihr Euch entschieden?«
    Elysa schüttelte bedauernd den Kopf. »Es ist eine Lüge, eine Täuschung, wider das achte Gebot – wie kann ich da Eurer Bitte Folge leisten?«
    »Eine Lüge ist, wer anderen bewusst damit schaden möchte, aber hier geht es um mehr! Es geht darum, eine weit größere Lüge aufzudecken. Und wenn nichts geschieht, werden all die Mühen der größten Prophetin aller Zeiten, dem Sprachrohr Gottes, innerhalb kurzer Zeit zunichte gemacht!«
    »Aber wer eine Aussage macht, obwohl er weiß, dass es nicht der Wahrheit entspricht, lädt Schuld auf sich, auch wenn er keinen Schaden anrichtet. Mendax, quod mentem alterius fallat . Wer lügt, sagt die Unwahrheit und ist daher ein Lügner.«
    » Pro salute vel commodo alicuius . Es ist eine Lüge zum Nutzen des Wortes Gottes! Elysa, ich bitte Euch, wollt Ihr eine Täuschung verdammen, die gegen jemanden gerichtet ist, der im Namen des Teufels mordet und brandschatzt?«
    Elysa wandte den Blick zum Himmel. Was hätte Bernhard an ihrer Stelle getan? Ihr Onkel war ein kluger Mann gewesen, der sie immer wieder dazu ermunterte, auf ihr Herz zu hören, ebenso wie auf ihren Verstand.
    Ihr Herz aber schwieg. Weder wollte sie die Tage in einem kalten Kloster verbringen, in dem der Teufel walten sollte, noch zur Familienburg reiten. Doch beim Gedanken an ihren Bruder und an das bevorstehende Wiedersehen schien es, als ziehe sich ein eiskalter Griff um ihr Herz, und es wurde ihr bewusst, dass sie jeden Aufschub nutzen würde, und wäre es nur für wenige Tage.
    Ihr Atem ging schwer, fast meinte sie, ihre Brust müsse zerspringen. Dann sah sie den Kanonikus an.
    »Gut, so sei es. Ihr dürft die Empfehlung verlesen.«

3
    W enn Ida von Lorch sich in tiefe Meditation versenkte, erinnerte sie sich all der Farben und Formen, die sie gesehen hatte, als sie ihr Augenlicht noch besaß. Im Sommer, wenn die Sonne ihr Gesicht erhellte und sie den Duft der Natur einsog, glaubte sie fast, das Grün zu fühlen, das sie umgab und Teil der göttlichen Schöpfung war. Nun war es fast Winter, dunkel und farblos, erst, wenn der Schnee fiele, würde sie wieder Teil der Welt sein, die auch sie mit Licht umgab.
    Dieses Jahr jedoch schien der helle Schnee fern und damit auch das Licht. Der Herbst hatte etwas Furchtbares mit sich gebracht, das sie in jeder Pore ihres Körpers fühlte. Seit jenem Tag, an dem der Teufel an die Klosterpforte geklopft hatte, stürmte es, und es war nicht der gute, sanfte Wind. Nein, es war der schlechte, der gepaart mit Rauch, Feuer, Finsternis und Wasser der Seite der unheilbringenden Elemente angehörte, die den Kosmos durchdrangen und mehr und mehr beherrschten.
    An manchen Tagen glaubte Ida sogar innerhalb der Gemäuer einen Luftzug zu spüren, der ihr den Atem nahm, dann und wann vermischt mit dem Gestank von Schwefel oder dem beißenden Geruch von Feuer, obwohl ihr die anderen Nonnen immer wieder versicherten, dass es nicht brannte. Bis auf die eine Nacht, als sie hinausgelaufen war und die Hitze der Glut hell und rot in ihrem Gesicht gespürt hatte.
    Es war, als begegneten ihr die anderen nun mit Vorsicht. Ja, mit Vorsicht, nicht mit Respekt, wie sie es sonst taten, wenn sich ihre Vorahnungen bewahrheiteten. Doch seit jenem unglücklichen Tag waren die Stimmen gedämpfter, und die fröhliche Schwatzhaftigkeit, die Ida sonst so ärgerte, war seltener geworden.
    Ida bewegte ihren Stab entlang der Mauern und schritt sicher voran. Und nun waren wieder Menschen gekommen, kaum dass die Brüder aus
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