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Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)

Titel: Die äußerst seltsame Familie Battersby (German Edition)
Autoren: E. Archer
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sondern kurz darauf mit einem unglaublichen Heißhunger auf Schweinekoteletts ›wiederauferstand‹.
    Nun, Annabels Theorie über das ›Un-töten‹ war selbstverständlich falsch. Es war nur ein eifersüchtiger Trick, um ihre Schwester aus dem Weg zu räumen. Weder Annabel noch Ralph wussten aber, dass es eine andere Theorie gab, die sich als richtig erweisen sollte: Das Aufweichen und/oder Durchbrechen von linearen, was meint fortlaufenden, Erzählsträngen ist die beste Waffe, über die eine rebellische Figur verfügt. Tatsächlich ist es sogar die einzige Waffe, über die eine rebellische Figur verfügt. Mit Beatrice’ Ermordung, die niemand vorhersehen konnte (nicht einmal ich), hatte Ralph die Richtigkeit eben dieser Theorie unter Beweis gestellt. Gerade in letzter Zeit diskutiert die Fachwelt diese Theorie der narrativen Diskontinuität außerordentlich kontrovers.
    Auszug aus dem Sitzungsprogramm des Hauptseminars Angewandte Erzählkunst :
    2. Woche: Umgang mit rebellischen Figuren In den Montags- und Mittwochssitzungen werden wir eine historische Analyse der Strategien vornehmen, mit denen Figuren in der Vergangenheit das unterlaufen haben, was sie selbst je nach Standpunkt als unumschränkte Gewalt des Erzählers, Schlupflöcher oder Deus ex Machina betrachten. Lektüre (* = Pflicht):
    Das Gebrüll des Autors: Der Bär, der die Krypta der Capulets versperrte, in: Literarische Hypothesen. Ein Arbeitsbuch , S. 102–110. *
    Scheherazades 89. Nacht: Kehlkopfentzündung, in: ebd., S. 181, Infokasten. *
    Reine Kameradschaft? Frodo und Sam in der Tolkien-Fanpresse, in: ebd., S. 210–212.
    Was Hänsels Seelenklempner sagt, in: ebd., S. 190–204. *
    Brüche in der narrativen Integrität, in: Troubleshooting. Arbeitsbuch zur erzähltechnischen Fehlersuche , Anhang C. *
    Wie bändigt man eine befreite Figur?, in: ebd., Anhang D
    Ralphs unwissentliche Umsetzung der narrativen Diskontinuitätstheorie hat deinem sowieso schon angeschlagenen Erzähler einige Probleme bereitet. Gut, okay: keine allzu großen, das nun auch wieder nicht. Aber eine Geschichte sollte fortlaufend erzählt werden, bildlich ausgedrückt: Die Schienenführung einer Storyline sollte fertiggestellt sein, da sonst der Zug entgleist. Dass Ralph Beatrice umgebracht hat, war schon eine ziemliche Entgleisung. Ich brauche also noch ein bisschen Zeit, um alles neu zu sortieren und wieder zu einer schlüssigen Geschichte zu verbinden. Verzeih mir, wenn ich erst einmal laut vor mich hindenke.
    Unser launenhafter junger Held – echt ein voll unreifer Typ! – erwachte genau in dem Moment, als die Unterwelt in Stücke zerbrach. Aber an jedem noch so finsteren Nachthimmel leuchtet immer irgendwo ein Stern, und selbst durch deine geschlossenen Lider dringen immer ein paar vorwitzige Lichtstrahlen. Als Ralph nun die Augen aufschlug, herrschte um ihn herum pure Dunkelheit, Nichts. Der Verlust der Unterwelt war wie alle Katastrophen ein Ereignis von kurzer Dauer, das besonders und vor allem in der Erinnerung weiterlebt. Ralph spürte, wie sich der Boden unter seinen Füßen auflöste und sich eine unermessliche Leere in seiner Brust ausbreitete.
    Was dachte er? Erschrak er darüber, dass er den Stoff zerrissen hatte, aus dem das Universum war? Schockierte es ihn, dass er Beatrice’ Geschichte mit einem Messerstich ein Ende gesetzt hatte?
    Natürlich nicht. Aufrecht stehend schwebte er im Nichts und wartete darauf, dass etwas geschah. Ganz der Romanheld. Suchend blickte er sich um, als könnte ihn doch noch ein Lichtstrahl treffen, und rief laut, als könnte ihn doch noch jemand hören.
    Unterdessen sitze ich an meinem Schreibpult auf den Laufplanken und kritzele unter meiner Leselampe die Seiten voll. Mit allen Mitteln versuche ich meine Geschichte zu retten, nachdem Beatrice’ Wunsch so überraschend zu Ende gegangen ist, und ich keine Mitarbeiter mehr frei habe, von einem Budget ganz zu schweigen.
    Die Tatsache, dass Ralph im absoluten Nichts stand , war für ihn ein erster Hinweis darauf, dass er vielleicht doch noch nicht gestorben war. Denn stehen kann man eigentlich nur dann, wenn man etwas hat, worauf man steht, oder?
    Als dann weit über ihm ein Licht angeknipst wurde – die Glühbirne einer Leselampe –, konnte er mehr von seiner Umgebung erkennen.
    Er stellte fest, dass er sich in so einer Art Erzähl-Requisitenkammer befand, riesengroß wie ein schier unermesslicher Dachboden. Der Boden bestand aus stabilem durchsichtigem Nichts. Es
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