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Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus

Titel: Die Abrechnung: Ein Neonazi steigt aus
Autoren: Ingo Hasselbach , Winfried Bonengel
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einen gewaltigen öffentlichen Aufschrei hervorrufen. Sie hat wenig Sympathien hier.«
    Wir fuhren nach Florence, zum vielleicht letzten Aufenthaltsort von Debbie. Ein freundlicher Polizist wies uns den Weg zum Hinrichtungshaus. Fotos dürfen nur außerhalb von 400 Metern gemacht werden. Dennoch kam das FBI und wollte unsere Fotoapparate beschlagnahmen. Dafür durften wir im »Prison Outlet« Souvenirs kaufen, Gefangenenkleidung, Blechnäpfe und TShirts: »I survived the Arizona State Prison«.
    Wir telefonieren auch mehrmals mit Debbie Milke, obwohl uns der Sprecher der Vollzugsbehörde, Michael Arra, warnte: »Debbie ist sehr wischi-waschi. Sie spricht nicht mit jedem.« Wir verschwiegen, daß wir mit Debbie Milke schon seit langem im Briefkontakt stehen und daß wir Tonbänder miteinander austauschen.
    Debbies Stimmung war wechselhaft - mal voller Hoffnung, mal am Boden zerstört. Sie sprach über den Alltag, über gelegentliche Hof-Ausflüge, die sie allein in Ketten und in einem Käfig absolvieren muß, über kleine Unarten wie das Rauchen, über die Beschimpfungen der Mitgefangenen, die sie aus der Ferne über sich ergehen lassen muß. Zehn Minuten dauert so ein Gespräch, wenn man Glück hat eine halbe Stunde.
    Eine Harvard-Studie hat gerade über 100 Hinrichtungsfälle dokumentiert, in denen die angeblichen Täter nachweislich unschuldig waren. Eine Regierungsstudie geht sogar davon aus, daß in jedem sechsten Fall ein Irrtum vorliegt. Gerade hat eine Gruppe von Journalistik-Studenten in einer Art Übungsseminar einen Mann vor dem Henker retten können. Nur im weiten Land ist man nach wie vor der Meinung, lieber drei Unschuldige hinzurichten als zehn Schuldige laufen zu lassen.
    Doch es gibt auch andere Stimmen, etwa die des Magazins Phoenix, der führenden Illustrierten in Arizona. In einem langen Artikel rollte sie vor einem halben Jahr noch einmal den Fall auf - und zog dabei ein nachdenkliches Resümee: »Sollten wir wirklich einen Gefangenen aufgrund der unbewiesenen Aussage eines einzelnen Polizisten hinrichten? Sind dies die Regeln, nach denen wir Leben und Tod in Arizona bemessen? Gerade in so einem verfahrenen Fall brauchen wir Gewißheit - brauchen wir eine Unterschrift, einen Zeugen und ein Tonbandgerät.« Wie wahr - doch wäre es da nicht einfacher, es ginge in Arizona nicht mehr um Leben oder Tod?
    Daß unser Artikel über Debbie, nachdem er in Deutschland erschienen war, eine derartige Resonanz haben würde, hätten wir uns wahrlich nicht träumen lassen. Innerhalb kürzester Zeit hatten wir so prominente Unterstützer wie Richard von Weizsäcker, Friedrich Schorlemmer, Egon Bahr und Horst K. Richter. Alle unterzeichneten den mit dem Artikel verbundenen Aufruf für ein neues faires Verfahren.
    Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb vor einiger Zeit: »Daß es ihm nur selten gelingt, die Distanz zu wahren, ist möglicherweise das Problem Ingo Hasselbachs: Was immer er anpackt, er tut es mit vollem Einsatz, und neigt dazu, in Extreme zu verfallen«. Diesen Satz kann ich unterschreiben, er stimmt. Ich habe im Fall der Debra Milke alles versucht, was mir irgendwie möglich erschien. Über die Jahre, die ich mit Debra Milke auf den unterschiedlichsten Wegen kommunizierte, hat sich aus einer anfänglichen Brieffreundschaft eine Liebesgeschichte entwickelt. Debra brauchte und braucht jemanden, an dem sie sich festhalten kann, und ich wurde dieser jemand mehr und mehr. Es gibt ja bekanntlich die unterschiedlichsten Wege, um sich zu verlieben, dies war offensichtlich einer davon.
    Mit einigen Bekannten, die hier in Berlin in einem Unterstützerkomitee für Debra Milke arbeiten, dachten wir im Sommer 1998 darüber nach, was man von Deutschland aus noch für sie tun kann. In diesem Kreis wurde die Idee geboren, daß man Debra, die ja in Berlin geboren wurde, durch eine Hochzeit zur deutschen Staatsbürgerin machen könnte. Die deutschen Behörden haben immer gesagt, daß man im Fall Milke nicht viel machen kann, da sie zwar hier geboren wurde, aber amerikanische Staatsbürgerin sei. In einem Gespräch mit einem Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wurde mir indirekt signalisiert, daß eine Eheschließung die Situation ändern könnte. Also habe ich Debra Milke einen Heiratsantrag gemacht, ihre Familie hat grünes Licht gegeben, und ich habe mich wieder auf den Weg nach Arizona gemacht.
    Debra hatte in der Zwischenzeit, beim Department of Corrections (DOC), der dortigen Gefängnisbehörde alle wichtigen
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