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Die Abenteuer von Sherlock Holmes

Die Abenteuer von Sherlock Holmes

Titel: Die Abenteuer von Sherlock Holmes
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
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das Haar haben kurz schneiden lassen. Ich versichere Ihnen, Sie haben dadurch nicht das kleinste bißchen in Ihrer Erscheinung eingebüßt. Nun wollen wir sehen, wie Ihnen das blaue Kleid steht. Sie finden es auf Ihrem Bett, und wenn Sie die Freundlichkeit hätten, es anzuziehen, wären wir Ihnen sehr verbunden‹
    Das Kleid, das da auf mich wartete, hat einen besonderen blauen Farbton. Es ist aus hervorragendem Material gefertigt, einer Art Wollstoff, aber man konnte deutlich sehen, daß es schon getragen
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    war. Es hätte nicht besser passen können, wenn es für mich genäht worden wäre. Als sie mich in dem Kleid erblickten, drückten Mr. und Mrs. Rucastle ein Entzücken aus, das mir gänzlich unangemessen schien. Sie erwarteten mich im Salon - das ist ein sehr großer Raum mit drei bis zum Boden reichenden Fenstern, der über die ganze Vorderfront des Hauses geht. Nahe dem Mittelfenster war ein Stuhl aufgestellt, mit der Lehne zum Fenster. Da müßte ich mich hinsetzen und dann begann Mr. Rucastle vor mir auf und ab zu gehen und er erzählte mir die lustigsten Geschichten, die ich je gehört habe. Sie können sich nicht vorstellen, wie komisch er wirkte und ich lachte, bis ich ganz erschöpft war. Mrs. Rucastle hingegen, die anscheinend keinen Sinn für Humor hat, saß da, die Hände im Schoß, mit bekümmertem Gesicht.
    Nach ungefähr einer Stunde stellte Mr. Rucastle unvermittelt fest, es sei Zeit, sich den Pflichten des Tages zu widmen und ich sollte das Kleid wechseln und zu dem kleinen Edward ins Kinderzimmer gehen.
    Zwei Tage später fand die gleiche Vorstellung unter genau denselben Umständen statt. Wieder legte ich das Kleid an, wieder saß ich mit dem Rücken zum Fenster und wieder lachte ich herzhaft über fröhliche Geschichten, von denen mein Herr einen riesigen Vorrat zu haben scheint und die er unnachahmlich vorträgt. Dann gab er mir einen Schmöker, schob den Stuhl ein wenig seitlich, so daß mein Schatten nicht auf die Seiten fiel und bat mich, ihm laut vorzulesen.
    Ich begann irgendwo in einem Kapitel, las zehn Minuten lang und mitten im Satz befahl er mir, aufzuhören und mich umzuziehen. Sie können sich wohl vorstellen, Mr. Holmes, wie neugierig ich wurde, was diese merkwürdige Aufführung bedeuten mochte. Die beiden achteten immer sehr darauf, daß ich das Gesicht vom Fenster abgewandt hielt und ich verzehrte mich in dem Verlangen, zu erfahren, was sich hinter meinem Rücken abspielte. Zuerst hielt ich es für unmöglich, das herauszubekommen, doch bald fand ich ein Mittel.
    Mein Handspiegel war zerbrochen und mir kam der glückliche Einfalt, ein Stückchen von dem Glas im Taschentuch zu verbergen. Bei der nächsten Gelegenheit führte ich mitten im Lachen das Taschentuch an die Augen und konnte mit dem kleinen Trick alles sehen, was es hinter mir gab. Ich gestehe, ich wurde enttäuscht. Da war nichts.
    Wenigstens nach meinem ersten Eindruck. Auf den zweiten Blick nahm ich jedoch auf der Landstraße nach Southampton einen Mann wahr, klein, mit Bart, in einem grauen Anzug, der zu mir
    herüberzublicken schien.
    Die Landstraße ist ein wichtiger
    Verkehrsweg und immer bevölkert. Doch dieser Mann lehnte am
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    Zaun, der unser Feld einfaßt und blickte ernst herüber. Ich ließ das Taschentuch sinken und fing auf, daß Mrs. Rucastle mich forschend ansah. Sie sagte nichts, aber ich bin davon überzeugt, sie ahnte, daß ich einen Spiegel in der Hand gehalten und bemerkt hatte, was hinter mir war. Sie erhob sich sofort.
    ›Jephro‹, sagte sie, ›da steht ein unverschämter Bursche auf der Landstraße. Er starrt Miss Hunter an ‹
    ›Ein Freund von Ihnen, Miss Hunter?‹ fragte er.
    ›Nein, ich kenne niemanden in dieser Gegend ‹
    ›Wie unverschämt der sich benimmt! Bitte, drehen Sie sich um und winken Sie ihm, zu verschwinden ‹
    ›Wäre es nicht besser, keine Notiz von ihm zu nehmen?‹
    ›Nein, nein, er wird sonst immer wieder hier herumlungern. Bitte, drehen Sie sich um und winken Sie, daß er gehen soll ‹
    Ich tat, wie mir geheißen und im selben Augenblick ließ Mrs.
    Rucastle die Jalousie herunter. Das war vor einer Woche und seither habe ich nicht wieder am Fenster gesessen, noch habe ich das blaue Kleid getragen, noch den Mann auf der Landstraße gesehen."
    "Bitte, fahren Sie fort", sagte Holmes. "Ihre Erzählung verspricht höchst interessant zu werden."
    "Sie finden sie wohl ziemlich zusammenhanglos, fürchte ich, und vielleicht gibt es auch wenig
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