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Die Abenteuer des starken Wanja

Die Abenteuer des starken Wanja

Titel: Die Abenteuer des starken Wanja
Autoren: Otfried Preußler
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    »Jetzt
noch?« Matrjonna deutete aus dem Fenster. »Gleich ist es Nacht .«
    »Da
hilft alles nichts«, sagte Anissim und band die Schürze ab. »Schließlich bezahlt
mich der Großfürst seit sieben Jahren dafür, daß ich’s ihm auf der Stelle
melde, wenn jemand in dieser verdammten Rüstung auftaucht. Du weißt, er bezahlt
nicht schlecht dafür !«
    Der
Wirt ließ sich von Matrjonna die Sonntagsmütze geben und in den guten Rock
helfen.
    »Morgen
früh bin ich wieder zurück. Du wirst sehen, es lohnt sich !«
    Die
Wirtin begleitete ihn auf den Gang hinaus, sie deutete nach der Gaststube.
    »Und
was sag’ ich ihm, wenn er nach dir fragt ?«
    »Dann
wird dir schon eine Ausrede einfallen, Alte! Los jetzt, ich muß mich beeilen —
bis morgen also !«
    Anissim
huschte zur Haustür hinaus und eilte zum Pferdestall. Matrjonna folgte ihm ein
paar Schritte.
    »Bis
morgen !« rief sie ihm nach. »Und nimm dich in acht, es
wird finster heute! Daß du dir unterwegs nicht den Hals brichst !«
     
    V on alledem ahnte der starke
Wanja nichts hinter seinen Tellern und Schüsseln. Er war hungrig vom weiten
Ritt, und was Mascha und Marfa ihm aufgetischt hatten, schmeckte vortrefflich.
Seit langem hatte er nicht mehr so gut und so reichlich zu Abend gegessen wie
hier. Nur schade, daß er beim besten Willen nicht alles schaffte! »Vielleicht
sollte ich eine Pause einlegen«, dachte er. »Dann kann sich das Essen setzen,
und ich gewinne Platz für den nächsten Gang .«
    Er
legte den Löffel weg, schob die Teller beiseite und streckte sich.
    Da
ertönte auf einmal Musik vor dem Haus. Draußen spielte jemand auf einer
Mundharmonika ein Soldatenlied. Wanja kannte das Lied von daheim. Der alte
Kusmin hatte es immer gesungen, wenn er betrunken war und den Burschen des
Dorfes vom Krieg erzählte, vom Türkenkrieg: »Damals, ihr Quarkgesichter, habe
ich meine glorreichen Wunden davongetragen — im Kampf für den Zaren und unser
heiliges Mütterchen Rußland. Wenn ihr mir einen ausgebt, zeig’ ich sie euch!«
    Das
Mundharmonikaspiel verstummte, von draußen stieß jemand das Fenster auf. Ein
Soldat beugte sich herein. Er war nicht mehr der jüngste und nicht gerade der
prächtigste. Die Tressen an seinem Hut waren ausgefranst, die Nickelknöpfe am
Waffenrock blind und verschrammt. Er trug einen mächtigen roten Schnauzbart
unter der Nase, schon mehr ein Gestrüpp. Sein Gesicht war mit Sommersprossen
besät, das Kinn und die Wangen strotzten von Bartstoppeln. Die Augenbrauen
glichen dem Schnauzbart wie Zwillinge ihrem großen Bruder. Darunter leuchtete
ein Paar eisgrauer Augen hervor: flinke, wachsame Augen, in denen etwas vom
Blick eines Luchses und eines Bären war. »Abgedankter Soldat bittet
untertänigst um milde Gabe !«
    Zwei
Finger am Hutrand, schnurrte der alte Krieger sein Sprüchlein herunter, mit
einer Stimme so tief und rauh wie ein Schusterbaß.
    Wanja
hob grüßend die Hand und fragte:
    »Bist
du es, Bruder, der die Garmoschka spielt ?«
    »Halten
zu Gnaden — ja .«
    »Schön
spielst du, Bruder, gut spielst du. Und wie steht’s mit dem Futter? Hast du
gehörig zu Abend gegessen ?«
    »Halten
zu Gnaden — nein .«
    »Dann
herein mit dir, Bruder! Setz dich zu mir an den Tisch, es reicht für uns beide !«
    Der
Soldat machte große Augen.
    »Im
Ernst, Euer Gnaden?«
    Wanja
schlug mit der Faust auf den Tisch und rief:
    »Ja
doch, zum Donnerwetter! Glaub mir — und komm schon !«
    »Wie
Euer Gnaden befehlen !«
    Der
Soldat hob zwei Finger zum Hutrand. Dann machte er kehrt und verschwand vom
Fenster. Kurz darauf polterte er zur Tür herein. Sein linkes Bein war zur Hälfte
weggeschossen, er trug einen Stelzfuß. So gut und stramm es sich mit dem
Holzbein machen ließ, kam er zum Tisch marschiert, baute sich davor auf und
schwenkte den Hut. »Gehorsamst zur Stelle, Euer Gnaden!«

    Wanja
winkte belustigt ab.
    »Schon
recht, Bruder — setz dich und laß dir’s schmecken !«
    »Gehorsamsten
Dank, Euer Gnaden!«
    Der
Soldat zog einen Löffel aus der Rocktasche, rieb ihn am Ärmel blank und begann zu
schmausen. Wanja schenkte ihm einen Becher Kwaß ein.
    »Nun,
Bruder, wie fühlst du dich ?«
    »Ich,
Euer Gnaden? — Wie auf der Kirchweih!«
    Wanja
schob ihm den Topf mit den weißen Bohnen hin.
    »Iß,
bis du nicht mehr kannst — aber tu mir den einen Gefallen und hör mit dem
ewigen >Euer Gnaden< auf! >Euer Gnaden< von vorn, >Euer
Gnaden< von hinten — ich heiße Wanja, und so genügt es mir .«
    »Zu
Befehl, Euer
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