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Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)

Titel: Die Abenteuer des Joel Spazierer: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Köhlmeier
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mir dabei den Unterarm brach. Ich war der erste, der herausgeholt wurde, weil ich mit dem Rücken an der Tür gesessen war. Ich rappelte mich hoch und wollte mich umdrehen, um zu sehen, wer mich stieß, wurde aber zwischen die Schulterblätter geschlagen. Ich versuchte es nicht mehr. Man hielt mir eine Pistole an die Schläfe. Niemand schrie. Das war seltsam. Es wäre eine typische Situation, in der man schreit, dachte ich. Ich schrie aber auch nicht. Hinter mir hörte ich die anderen. Ich wollte nach Frau Prof. Jirtler rufen. Ließ es aber.
    Ich konnte Umrisse erkennen. Es sah aus, als wären wir in einem Stollen. Mit Stollen meine ich eine langgezogene Höhle. An manchen Stellen waren die Wände glatt, als wären sie betoniert, an manchen Stellen sah es aus, als wären sie aus bloßem Fels. Ich vermutete, es handelte sich um einen in Bau befindlichen Straßentunnel oder um einen Eisenbahntunnel, der stillgelegt und vergessen worden war. Alle paar Meter brannte Glut in Blechtonnen. Dann sah ich vor mir Lampen. Sie waren schwach, ihr Licht war gelb. Sie hingen über Käfigen.
    Man sperrte uns in die Käfige, jeder bekam einen eigenen. Es war wenig Platz. Wir konnten nur mit eingezogenen Beinen liegen. Mein linker Unterarm war verdreht und hing nach unten. Ich band ihn mit dem Gürtel meines Mantels an den Bauch. Ich nahm an, Elle und Speiche waren gebrochen. Der Schmerz trat hinter die Angst zurück. Das verbesserte meine Lage.
    Einige von uns bekamen Kübel für die Notdurft. Zu essen gab es gekochte Rüben. Es gab nur gekochte Rüben zu essen, Rüben mit wenig Salz. Zu trinken bekamen wir Milch. Die hatte einen bitteren Geschmack. Viel Milch bekamen wir. Manchmal war sie sauer. Sauer schmeckte sie besser. Gesprochen wurde nicht mit uns. Die meiste Zeit schlief ich. Mir war jedenfalls so.
    Der in dem Käfig neben mir war ein dicker Blonder in einem langen hellen Mantel. Ich hatte keine Orientierung, ob Tag oder Nacht war, ich ordnete die Zeit zu einem Rhythmus, wohl wissend, dass es wahrscheinlich ein falscher Rhythmus war, in dieser Welt war zwischen Tag und Nacht nicht zu unterscheiden, ich tat es nur mir zuliebe. Nach meinem Rhythmus wurde der dicke Blonde in der dritten Nacht geschlachtet. Man holte ihn dazu nicht aus dem Käfig. Man machte ihn im Käfig tot. Man stieß ihm die Klinge in den Hals, drückte ihn in die Knie, beugte ihn, während seine Glieder zuckten, über eine kleine Wanne und ließ ihn ausbluten. Sie brachen ihm die Goldzähne heraus, schnitten mit drei schnellen, sicheren Streichen ihrer Krallen, die wie Klingen waren, die Schwarte an Stirn und Schläfen auf, rissen den Schopf über den Schädel zurück und klaubten darunter die Knochenkuppel ab, als ob auch sie Edelmetall enthalten könnte. Man schnitt ihm die Kleider vom Leib, knotete ihm ein Seil um einen Knöchel und schleppte ihn fort. Sein weißer fetter Körper schimmerte. In den anderen Käfigen hörte ich Kotzen. Was ging dort vor sich? Ich hörte Frau Prof. Jirtler nach mir rufen. Ich antwortete nicht, ich wollte mich nicht verraten. Wobei ich nicht wusste, was man über mich hätte erfahren können, wenn ich geantwortet hätte. Ich glaubte auch nicht, dass man mich vorgereiht hätte, wenn ich irgendwie aufgefallen wäre. Am folgenden Abend – Abend nach meinem Rhythmus, meine ich – hackte man mir den kleinen Finger der rechten Hand ab. Nun war ich an beiden Händen eingeschränkt, und es bereitete mir große Qual, die Wunde mit einem Hemdfetzen zu verbinden. Aber ich brachte es fertig, ich habe scharfe Zähne und einen kräftigen Unterkiefer.
    Die Rübenmahlzeit wurde verdoppelt, die Milchrationen verdreifacht. In den Käfig neben mir steckte man einen jungen Kerl, nicht älter als sechzehn, schätzte ich. Erst hatte er wilde Augen, bald nicht mehr. Man zwang ihn, einen großen Eimer Milch zu trinken. Man schüttete sogar Zucker in die Milch. Wir wurden gemästet. Für Frau Prof. Jirtler und mich bedeutete es wahrscheinlich einen Vorteil, dass wir schlank beziehungsweise hager waren, einen Überlebensvorteil. Als Nächste wurde eine Frau geschlachtet. Ich hatte mir schon die ganze Zeit gedacht, sie wird die Nächste sein. Wegen ihrer großen Brüste habe ich es mir gedacht. Man zerhackte sie an Ort und Stelle. Zum Glück waren zwischen ihrem Käfig und meinem drei weitere Käfige, und, wie gesagt, die Beleuchtung war schlecht, so dass ich wenig sehen konnte. Ihr Fleisch wurde gebraten und unter Gesang und Alkoholeinfluss
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