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Dichterliebe: Roman (German Edition)

Dichterliebe: Roman (German Edition)

Titel: Dichterliebe: Roman (German Edition)
Autoren: Petra Morsbach
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sie mit Absichten … Absichten, auf mich? Meine erste Westfrau sozusagen? Ja, sie bewunderte mich, ihre Weimarkritik schloß mich nicht ein, im Gegenteil, sie diente meiner Entschuldigung und Heiligsprechung. Wieviel literarische Kultur ich in diesem proletarischen Trümmerfeld hatte entwickeln können! Die vielen Versmaße, die ich beherrschte – Alexandriner, Terzinen, Madrigalverse, ohne daß es jemals technisch klinge; und die komplexen Formen – Sonette, Ghaselen …
    Ach nein, wiegelte ich ab, das habe bei uns zur Ausbildung gehört, im Grunde aber sei diese philologische Kunst so unpersönlich wie die flotte Westschreibe, nur auf solidere Art. » Wir waren das Literaturmuseum DDR «, scherzte ich, um Graziella auf den Teppich zu holen, aber nun bewunderte sie auch noch meine Bescheidenheit, zumal mich vor dem Goethe-Gartenhaus, das geschlossen war, ein Student um ein Autogramm bat.
    Als wir wieder in der Innenstadt waren, wenig nach fünf Uhr, war es dunkel. In einem verqualmten Café verzehrten wir eine fettige Torte. Ich probte im stillen auf Wienerisch das Wort Dienstleistungswüste und bestellte einen doppelten Kognak. Wie konnte ich noch den leidenschaftlichen Künstler geben in der Not, in der ich mich befand? Mein Land, meine Ehe, meine Existenz am Zerbrechen. Mein Geld täglich weniger wert. Wohin sollte ich Graziella zum Abendessen einladen? Welches Lokal konnte ich bezahlen?
    Hier fand sich eine Lösung: Es gab keins. Das heißt, sie waren alle überfüllt. Graziella bot kurzerhand an, mich in den Elephant einzuladen: » Das sind für mich keine Beträge.« Doch das Restaurant war für eine russische Gesellschaft reserviert, Graziella versuchte mit dem Oberkellner zu verhandeln und erhielt eine so deutliche Abfuhr, daß sie ausrief: » Wollen Sie mich pikieren?«
    In der Gewißheit einer Absage schlug ich meine Herberge vor, die Wohnung meines Freundes Petzold: Bitte nicht erschrecken, es sei eher Bohème. Das Wort stach, Graziella nahm fast dankbar an. Petzold war Regisseur in Weimar und Erfurt und hatte je eine Wohnung in jeder Stadt direkt beim Theater. Da er Weihnachten bei der Familie in Erfurt verbrachte, war die Weimarer Wohnung frei; sie war aber ohnehin nur Arbeitsabsteige, ein Raum mit Kachelofen, Toilette auf dem Treppenabsatz, in einem verrußten alten Haus. Als wir im fünften Stock ankamen, hatte Graziella trotz der Kälte feine Schweißperlen auf der Oberlippe. Ich heizte mit Briketts den Ofen, während sie mich hingerissen beobachtete wie einen Indianer auf Büffeljagd mit Pfeil und Bogen. Danach tischte ich Brot Käse Gurken auf, gab den Krimsekt aus, den ich als Gastgeschenk für Klaus mitgebracht hatte, und wir stießen an. Graziella wurde beschwipst und zitierte unversehens Karl Kraus: Der Strom mündet ins Meer und mit ihm fließt der Kehricht. Der Kehricht tut so, als ob’s ihm der Strom zu danken hätte. Aber es dürfte wohl das Gegenteil der Fall sein.
    » Gehört Zynismus zu Wien?« fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
    » Wieso?«
    » Habe ich ein falsches Wienbild?«
    » Ich weiß nicht … Mir ist der Wiener Zynismus ein Greuel. Die Manier einer aggressiven Überlegenheit, die durch nichts gedeckt ist«, sagte sie überraschend heftig. » Meine Familie war … ist … perfekt darin. Vielleicht habe ich Germanistik studiert, um mich abzusetzen. In der Schule mußten wir Grillparzer lesen. Alle stöhnten, ich aber habe mich in diesen … Sauertopf verliebt, bloß weil er nicht zynisch war. Zum ersten Mal habe ich bei ihm erlebt, daß einer die Sprache nicht gebraucht, um gemein zu sein.«
    » Wer war nicht gemein, der Mensch oder die Sprache?« fragte ich vorsichtig.
    » Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Sagen wir: Den einzigen Anstand, den ich erlebt habe, habe ich in seiner Sprache erlebt.«
    » Inwiefern ist Ihre Familie zynisch?«
    Die Mutter sei eine ehemalige Lebedame, der Bruder ein Taugenichts. Der Bruder sei der Augapfel der Mutter. So trete er auch auf, gutaussehend, kontaktfreudig, forsch. Dank diesem Auftreten – » und seinem Namen«, sagte sie, » natürlich« – sei er fast unmittelbar nach seinem Ökonomiestudium Juniorchef einer Firma geworden. Dort habe er sich schwindelerregend rasch vom bewundernden Adlatus seines Chefs zum selbstgefälligen Abstauber entwickelt.
    » Woher kommt die literarische Ader?«
    Ihr Vater sei, der Bibliothek nach, die er hinterließ, ein Leser gewesen. Aber er war schon alt bei ihrer Geburt und starb, als sie
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