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Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
Autoren: Thilo Sarrazin
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Elsass wird niemals seine deutschen Wurzeln verleugnen, ebenso wie man in Nizza merkt, dass hier mal Italien war. Baustile und Stadtgestalten zeigen die gemeinsamen kulturellen Wurzeln des nördlichen europäischen Tieflandes von Brügge bis Tallinn, dem alten Reval.
    Die Schweiz ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich unterschiedliche Identitäten in unmittelbarer Nachbarschaft auch über ein Jahrtausend hin erhalten können: Im Kanton Wallis - der Osten spricht deutsch, der Westen französisch - wanderte die Sprachgrenze in den letzten 1000 Jahren nur minimal hin und her: Saß der Bischof in Brig, dann wanderte sie nach Westen, saß er in Sion, dann wanderte sie nach Osten. Die Stadt auf halbem Wege zwischen Sion und Brig hieß mal Sierre und mal Siders.
    Migration über die Grenzen hat es immer gegeben. Meine väterlichen Vorfahren wanderten über Lyon nach Genf und dann über Basel nach Deutschland, wo sie schließlich Westfalen wurden. Meine mütterlichen Vorfahren waren 1920 als pommersche Grundbesitzerfamilie im polnisch gewordenen Korridor plötzlich sogenannte
Volksdeutsche, und was von ihnen übrig blieb, fand sich 1945 in Westfalen ein. Möglicherweise waren von dort ihre Vorfahren im 12. Jahrhundert aufgebrochen.
    Migration kann und soll es auch in Zukunft geben. Die Beweglichen, die Tüchtigen sollen zu jeder Zeit aufbrechen können und ihr Brot verdienen, wo es ihnen gefällt - vorausgesetzt, sie fügen sich ein in die Kultur ihres Gastlandes und werden schließlich ein Teil von ihr, wenn sie sich dauerhaft dort niederlassen. Gut ausgebildete Fachkräfte und Experten, die nicht wegen der deutschen Sozialleistungen kommen, kann Deutschland jederzeit gebrauchen, auch aus der Türkei oder Ägypten. Aber die sind weltweit knapp, wie der relative Misserfolg der deutschen Greencard zeigt. Freuen wir uns über jeden, der kommt und bleibt. Aber das Gros der Fachkräfte, Tüftler und potentiellen Nobelpreisträger, die Deutschlands Zukunft in 50 und 100 Jahren sichern und gestalten sollen, müssen wir schon selber zeugen, aufziehen und ausbilden. Machen wir weiter wie in den letzten 40 Jahren, so wird unsere Bevölkerung nicht nur demografisch schrumpfen, sondern auch intellektuell verkümmern.
    Eine weitere Massenimmigration von bildungs- und kulturfernen Gruppen aus Afrika, aus Nah- und Mittelost wird kein Problem lösen, aber viele neue schaffen. Das wollen viele nicht hören. Wenn wir aber einfach weitermachen, wird jede Generation der Deutschen um ein Drittel kleiner sein als die vorhergehende, wobei die gebildeten Schichten besonders stark schrumpfen. Was uns fehlt, füllen wir teilweise mit anatolischen Bauern, palästinensischen Kriegsflüchtlingen und den unterschiedlichen Generationen von Flüchtlingen aus der Sahelzone auf.
    Deutschland wird nicht mit einem Knall sterben. Es vergeht still mit den Deutschen und mit der demografisch bedingten Auszehrung ihres intellektuellen Potentials. Das Deutsche in Deutschland verdünnt sich immer mehr, und das intellektuelle Potential verdünnt sich noch schneller. Wer wird in 100 Jahren »Wanderers Nachtlied« noch kennen? Der Koranschüler in der Moschee nebenan wohl nicht.
    Deutschlands Zukunft könnte es ergehen wie dem tragischen Helden in Jack Arnolds Film »The Incredible Shrinking Man«: Er
steuert ein Segelboot. Eine Wolke zieht über ihm dahin. Seine Frau, die unter Deck war, kommt nach oben, und nun beginnt er unmerklich und langsam zu schrumpfen, bis er schließlich so mikroskopisch klein ist, dass er der Welt verloren geht.
    Auch wenn es keine Deutschen mehr gibt, wird die Norddeutsche Tiefebene nicht menschenleer sein. Menschen werden immer in Mitteleuropa leben. Das Klima ist angenehm, die zentrale Lage ist von Vorteil, und die ererbte Infrastuktur ist gut. Nur die deutschen Inseln in der Gebietskörperschaft, die Deutschland heißt, werden immer kleiner werden, wenn sich nichts Grundlegendes ändert. Das wird gar nicht mehr lange dauern, unsere Enkel und Urenkel werden es erleben. Das Deutsche kann aus Mitteleuropa verschwinden, so wie das Griechische aus Kleinasien verschwand. Es wird nur schneller gehen und wahrscheinlich ohne Blutvergießen. Wir Deutschen müssen nicht vertrieben werden, wir ziehen uns still aus der Geschichte zurück nach der Gesetzmäßigkeit der Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes.
    100 Jahre sind nicht lang. Die meisten kennen die 50 Jahre vor ihrer Geburt aus Erzählungen der Eltern- und Großelterngeneration.
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