Deutschland allein zu Haus
Reisebus nach Istanbul werde ich auch gezwungen, diese Serien anzuschauen. Der ganze Bus gleicht einer Trauergemeinde.
Hans’ Anruf kommt mir später wie gerufen, als wir unsere Koffer am Busbahnhof zum Taxi schleppen.
»Hans, wir sind endlich in Japaaan«, tue ich völlig aufgeregt, »so ein tolles Land, so viele freundliche Menschen, das glaubst du gar nicht, Kumpel!«
Zum Glück sind wir ja in Istanbul, und wo viele alte Steine sind, sind selbstverständlich viele alte Japaner mit Filmkamera auch nicht weit weg. Ich laufe sofort zu einem dieser freundlichen Japaner und will für kurze Zeit mein Händy gegen seine Kamera austauschen.
»Du bitte Sayonara machen, pliiis!«
Genau in diesem Moment fängt aber irgendein Muezzin an, aus acht Lautsprechern gleichzeitig mit seiner lautesten Stimme die Gläubigen zum Gebet zu rufen!
»Allahuu akbaaarrr …Allahuu akbaaarrr …Vellillaaahüüüü …«
»Osman, seit wann sind denn in Japan die Mullahs an der Macht???«, zerreißt Hans mir fast das Trommelfell.
Er kann sogar aus Deutschland mit einem kleinen Händy viel lauter brüllen als der Muezzin mit seinen acht Lautsprechern direkt hinter mir.
Plötzlich ist die Verbindung unterbrochen. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht lag es daran, dass ich das nervige Händy samt meinem brüllenden Kumpel in den Koffer gestopft habe!
»Irgendwie kann ich mich zum ersten Mal nicht so richtig freuen, dass ich nach Hause fahre. Warum haben die bloß so blöd gewählt?«, murmelt Eminanim in dem riesigen Flughafengebäude.
»Wer fährt schon vor Freude hüpfend zu Rechtsradikalen?«, meint meine Tochter Zeynep.
»Kein Mensch«, antwortet die Dame am Schalter. »Kein Mensch fliegt mehr nach Deutschland. Alle warten ab, was dort passieren wird. Die aus Deutschland ankommenden Flugzeuge sind randvoll, die Maschinen, die hinfliegen, sind fast leer.«
»An den Stränden am Mittelmeer war dieser Trend ganz klar zu sehen«, gebe ich ihr recht. »Die türkische Tourismusbranche wird den Nazis ewig dankbar sein. Vermutlich werden sie demnächst deren Wahlwerbung sponsern!«
»Vermutlich wird in Deutschland nie wieder gewählt, wenn die Nazis sich erst mal richtig eingenistet haben«, bemerkt Eminanim.
»Ich muss leider Ihre Olivenölflaschen beschlagnahmen. So was dürfen Sie nicht mit ins Flugzeug nehmen«, meint die Schalterfrau und fischt die vier Olivenölflaschen aus meiner Tasche heraus.
»Was sind das denn für Nazimethoden?«, schimpfe ich.
»Extra für Sie eingeführt«, lacht die Dame, »damit Siesich an die neuen Verhältnisse in Deutschland schon mal gewöhnen können.«
Ich bin froh, dass mein Onkel Ömer diese ganze Diskussion nicht mitbekommen hat. Er baggert jetzt schon eine türkische Oma an und markiert den Großkapitalisten:
»Ich bin Gemüseexporteur, gnädige Frau, regelmäßig fliege ich nach Europa, um persönlich das Geschäftliche zu erledigen. Sie kennen sicherlich den Spruch: ›Wenn man sich auf seine Arbeiter verlässt – dann ist man verlassen!‹«
»Wenn du so ein großer Exporteur bist, dann macht es dir sicherlich nichts aus, meine zwei Koffer und diese drei Säcke mit Trockenfrüchten auch noch mitzunehmen. Ich habe einfach zu viel Gepäck«, kommt es ziemlich nüchtern zurück.
Warum nimmt die alte Dame denn so viel Proviant mit? Denkt sie etwa, die Nazis brechen den dritten Weltkrieg vom Zaun?
Auf jeden Fall hätten wir wohl kaum einen unglücklicheren Zeitpunkt finden können, um meinem Onkel Ömer unser schönes Deutschland zu zeigen.
Eine Stunde später ändere ich meine Meinung. Ich würde meinem Onkel auch gerne das hässliche Deutschland zeigen, wenn wir da nur lebend ankommen.
»Wir haben einen kleinen Triebwerkschaden, wir versuchen in Belgrad notzulanden«, verkündet nämlich der Pilot mit zitternder Stimme.
»Oh Allah, mach bitte, dass die Belgrader einen Flughafen haben«, bettele ich mit flatterndem Herzen.
»Wenn sie bis jetzt keinen haben, kann Gott denen so schnell auch keinen neuen bauen«, meint Eminanim kühl.
Alle Passagiere im Flugzeug fangen an, hysterisch zu beten und zu winseln.
»Ob das was mit den Wahlen in Deutschland zu tun hat?«, flüstert die ältere Dame hinter mir voller Angst.
»Das glaub ich nicht. So schnell können die Deutschen Serbien doch nicht überfallen haben«, stottert ihr Mann neben ihr.
»Mit Polen haben die damals ja auch nicht lange gefackelt!«, kommt trocken als Antwort. Die scheinen gegen Flugzeugabstürze immun zu sein und
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