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Desperation

Desperation

Titel: Desperation
Autoren: Stephen King
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Fenster stehen, so daß die
Schnalle seines Sam-Browne-Gürtels in Peters Augenhöhe
war. Er bückte sich nicht, sondern hob eine Faust (die Peter so
groß wie eine Dose Daisy-Schinken vorkam) und machte eine
kurbelnde Bewegung.
Peter zog die runde randlose Brille ab, steckte sie in die Tasche und kurbelte das Fenster herunter. Er war sich Marys rascher Atemzüge auf dem Beifahrersitz nur zu bewußt. Sie
hörte sich an, als wäre sie seilgesprungen oder hätte sich vielleicht den Freuden der Liebe hingegeben.
Der Cop bückte sich immer noch nicht. Peter vermutete, bei
dieser Größe stellte man, noch bevor man ausgewachsen war,
fest, daß man sich nicht sein ganzes Leben lang bücken
konnte, um die zwergenhafte Welt ringsum zu betrachten.
Wenn man das tat, hätte man sich wahrscheinlich mit dreißig
den Rücken ruiniert.
Statt sich zu bücken, machte der Cop langsam eine anmutige Kniebeuge und brachte sein breites, unverbindliches
Gesicht ins Blickfeld der Jacksons. Ein Schattenstreifen von der
Krempe seines Trooper-Huts fiel auf seine Stirn. Seine Haut
sah unnatürlich rosa aus, und Peter vermutete, daß der Mann
trotz seiner Größe die Sonne nicht besser vertrug als Mary.
Seine Augen waren hellgrau und direkt, aber ohne Gefühlsregung. Jedenfalls konnte Peter keine darin erkennen. Aber er
konnte etwas riechen. Möglicherweise Old Spice, dachte er.
Der Cop würdigte ihn nur eines kurzen Blickes, dann betrachtete er die Kabine des Acura, zuerst Mary (Amerikanerin
aus dem Bilderbuch, weiß, hübsches Gesicht, gute Figur, geringe Kilometerzahl, keine sichtbaren Narben), dann die Kameras und Tüten und den Abfall auf dem Rücksitz. So viel
Abfall lag da noch nicht; sie hatten Oregon erst vor drei Tagen
verlassen, und davon anderthalb bei Gary und Marielle Soderson verbracht, wo sie alte Schallplatten gehört und sich
über alte Zeiten unterhalten hatten.
Der Blick des Cops verweilte auf dem herausgezogenen
Aschenbecher. Peter wurde klar, daß er nach Kippen suchte,
nach dem Aroma von Pot oder Hasch schnupperte, und er verspürte Erleichterung. Er hatte seit fast fünfzehn Jahren keinen
Joint mehr geraucht, nie Kokain versucht und nach der unseligen Weihnachtsparty kaum mehr etwas getrunken. Heutzutage
bestanden seine einzigen Drogenerlebnisse darin, bei einem
Rockkonzert ein wenig Cannabis zu schnuppern, und Mary hatte
das Zeug überhaupt nie genommen - sie bezeichnete sich manchmal selbst als »Drogenjungfrau«. Im Aschenbecher lagen nur
ein paar zusammengeknüllte Kaugummiverpackungen, und
keine leeren Bierdosen oder Weinflaschen auf dem Rücksitz.
»Officer, ich weiß, ich bin etwas zu schnell gefahren -«
»Bleifuß, was?« fragte der Cop liebenswürdig. »Heiliger
Strohsack! Sir, könnte ich Ihren Führerschein und die Zulassung sehen?«
»Klar.« Peter zog die Brieftasche hinten aus seiner Jeans.
»Aber das Auto gehört nicht mir. Es gehört meiner Schwester.
Wir bringen es für sie nach New York zurück. Von Oregon. Sie
war am Reed. Reed College, in Portland.«
Er plapperte, das wußte er, war aber nicht sicher, ob er aufhören konnte. Es war unheimlich, wie Cops einen derartig
zum Plappern bringen konnten, als hätte man eine zerstückelte Leiche oder ein entführtes Kind im Kofferraum. Er
erinnerte sich, daß er ähnlich reagiert hatte, als der Cop ihn
nach der Weihnachtsparty auf dem Long Island Expressway
an den Straßenrand gewunken hatte; er hatte geredet und geredet, Rhabarber-Rhabarber-Rhabarber, während der Cop
kein Wort gesagt, sondern nur systematisch seine Pflicht getan und zuerst seinen Papierkram erledigt hatte, bevor er sein
kleines blaues Blasröhrchen herausholte.
»Mare? Würdest du bitte die Zulassung aus dem Handschuhfach holen? Sie steckt mit Dees Versicherungskarte in
einem Plastikumschlag.«
Zuerst bewegte sie sich nicht. Er konnte aus dem Augenwinkel sehen, daß sie einfach sitzenblieb, während er die Brieftasche aufklappte und nach seinem Führerschein suchte. Der
Führerschein hätte da sein müssen, in einer der Fensterlaschen
vor dem Geldscheinfach, in Lebensgröße, aber er war nicht da.
»Mare?« fragte er wieder, ein wenig ungeduldig und erneut
ängstlich. Wenn er den gottverdammten Führerschein nun irgendwo verloren hatte? Vielleicht hatte er ihn bei Gary auf
den Boden fallen lassen, als er seinen Kram (auf Reisen schien
man immer viel mehr Kram mit sich herumzuschleppen als
sonst) von einer Jeans in die andere gesteckt hatte. Das stimmte natürlich nicht, aber wäre es nicht
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