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Desperation

Desperation

Titel: Desperation
Autoren: Stephen King
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heruntergefallenen
Schild passierten, ging gerade die Sonne am Horizont auf.
Steve trat direkt hinter der Bodega, am südlichen Ende der
Main Street von Desperation, auf die Bremse.
»Heilige Scheiße«, murmelte Cynthia mit leiser Stimme.
»Mutter McCrea«, sagte Mary und legte eine Hand an die
Schläfe, als hätte sie Kopfschmerzen.
Steve konnte gar nichts sagen.
Bis jetzt hatten er und Cynthia Desperation nur im Dunkeln
oder durch Sandschleier hindurch gesehen, und was sie gesehen hatten, waren hektische kleine Momentaufnahmen gewesen, weil ihre Wahrnehmung weitgehend auf die simple
Notwendigkeit zu überleben beschränkt war. Wenn man versuchte, am Leben zu bleiben, dann sah man nur, was man sehen mußte; der Rest blieb auf der Strecke.
Jetzt allerdings sah er alles.
Die breite Straße war einsam und verlassen, abgesehen von
einer träge dahinrollenden Windhexe. Sandverwehungen
deckten die Bürgersteige an manchen Stellen völlig zu. Hier
und da funkelten die Scherben von Fensterscheiben. Abfall
war überall hingeweht worden. Schilder waren umgestürzt.
Stromkabel lagen abgetrennt auf der Straße wie zerbrochene
Verteilerköpfe. Und der Baldachin des American West lag auf
der Straße wie eine schließlich auf Grund gelaufene Jacht. Der
letzte verbliebene Buchstabe - ein großes schwarzes R - war
abgefallen.
Und überall sah man tote Tiere, als wäre eine tödliche Chemikalie ausgetreten. Er sah Dutzende von Kojoten, und aus
der Tür von Bud’s Suds erstreckte sich ein krummer Schweineschwanz toter Ratten, von denen einige halb mit Sand bedeckt waren, der in der sanften Morgenbrise hochwirbelte.
Tote Skorpione lagen auf dem abgestürzten Wetterhahn in
Form eines Kobolds. Steve fand, sie sahen aus wie Überlebende einer Schiffskatastrophe, die auf einer einsamen Insel
ein schreckliches Ende gefunden hatten. Tote Geier lagen auf
der Straße und den Dächern wie Rußklumpen.
»Und zieh eine Grenze um das Volk«, sagte David. Seine
Stimme klang tot und ausdruckslos. »Und sprich zu ihnen:
>Hütet euch, auf den Berg zu steigen<.«
Steve schaute in den Rückspiegel, sah die Böschung der
China-Grube vor dem Dämmerungshimmel aufragen, sah
den Staub, der immer noch aus dem sterilen Krater aufstob,
und schauderte.
»Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder seinen Fuß anzurühren; denn wer den Berg anrührt, der soll des Todes sterben. Keine Hand soll ihn anrühren, sondern er soll gesteinigt
oder erschossen werden. Es sei Tier oder Mensch, sie sollen
nicht leben bleiben.« Der Junge sah zu Mary auf, und da erbebte sein Gesicht und wurde wieder menschlich. Tränen traten ihm in die Augen.
»David -« begann sie.
»Ich bin allein. Verstehen Sie? Wir sind auf den Berg gestiegen, und Gott hat sie alle getötet. Jetzt bin ich allein.«
Sie legte die Arme um ihn und drückte sein Gesicht an sich.
»Sag mal, großer Häuptling«, sagte Cynthia und legte Steve
eine Hand auf den Arm. »Hauen wir aus diesem Drecksloch
von einer Stadt ab und gehen ein Bier trinken, was meinst du?«
3
    Wieder auf dem Highway 50.
»Weiter in dieser Richtung«, sagte Mary. »Jetzt ist es nicht
mehr weit.«
Sie waren an dem Wohnmobil der Carvers vorbeigefahren.
David hatte das Gesicht wieder an Marys Brust gedrückt, als
sie sich ihm näherten, und sie hatte ihm die Arme um den
Kopf gelegt und ihn gehalten. Fast fünf Minuten bewegte er
sich nicht, schien nicht einmal zu atmen. Sie merkte nur an seinen langsam fließenden, heißen Tränen, die ihr Hemd durchnäßten, daß er noch am Leben war. In gewisser Weise war sie
froh, daß sie die Tränen spürte, weil sie sie für ein gutes Zeichen hielt.
Der Sturm, sah sie, hatte auch den Highway nicht verschont; an manchen Stellen war er völlig unter Sand begraben,
und Steve mußte verschiedene Verwehungen mit dem Bus in
den unteren Gängen regelrecht durchpflügen.
»Hatte man sie zugemacht?« fragte Cynthia Steve einmal. »Die Cops? Die Verkehrsaufsicht von Nevada? Wer auch
immer?«
Er schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht. Man kann
davon ausgehen, daß gestern nacht nicht viele Leute unterwegs waren
- ‘ne Menge Trucker auf der Interstate dürften
sich in Ely und Austin eingeigelt haben.«
»Da ist er!« rief Mary und zeigte auf ein Funkeln reflektierten Sonnenlichts etwa eine Meile vor ihnen. Drei Minuten
später hielten sie neben Deirdres Acura. »Möchtest du mit mir
in das Auto umsteigen, David?« fragte sie. »Vorausgesetzt,
das verdammte Ding springt überhaupt an.«
David zuckte die
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