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Der Zorn Gottes

Der Zorn Gottes

Titel: Der Zorn Gottes
Autoren: Paul Harding
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setzte sich neben sie auf
     die Bettkante, und sie hielt seine Hand, während er den Wein
     schluckte; seine Finger waren kalt wie Eiszapfen.
    »Eleanor?« Er
     starrte über den Becherrand. »Was sollen wir tun? Ist sie
     besessen? Hat irgendein Dämon von ihrer Seele Besitz ergriffen?«
    Eleanors scharfe Augen
     flackerten verachtungsvoll. »Sie lügt und verstellt sich!«
     versetzte sie. »Deine Tochter hat sich mit einer eingebildeten
     Krankheit ins Bett gelegt.« Sie wischte ihrem Mann den Schweiß
     von der Stirn. »Walter, sie täuscht dich. Sie spielt ein übles
     Spiel mit dir.«
    »Wie kann das sein?«
     antwortete er. »Du hörst doch das Klopfen. Ich habe ihre Hände
     beobachtet. Sie liegen auf der Decke. Wie soll sie das einfädeln, hm?
     Und wie bringt sie den gräßlichen Geruch zustande und die
     Stimme? Ich habe ihr Zimmer durchsucht, als sie schlief. Ich kann nichts
     finden.«
    »Wenn das so ist«,
     sagte Eleanor scharf, »dann ist sie besessen und gehört
     zusammen mit dieser alten Hexe, ihrer Amme, an einen anderen Ort. In ein
     Spital, oder in ein Haus für Irrsinnige. Oder…«
    »Oder?« fragte er
     hoffnungsvoll. »Wenn das stimmt, wenn der Geist ihrer Mutter
     wirklich zurückkommt, dann muß es ein verkleideter Dämon
     sein, der solche Lügen ausspuckt. Dann müssen sie und die Kammer
     einem Exorzismus unterzogen und gesegnet werden.«
    »Aber wer kann das
     übernehmen?« Eleanor entwandt seinen starren Fingern den
     Weinbecher. »Pfaffen gibt es zwei für einen Penny.« Sie
     legte ihm die Arme um seinen Hals und küßte ihn sanft auf die
     Wange. »Vergiß diese Geister. Deine Tochter ist eine Betrügerin«,
     flüsterte sie. »Und ich werde sie als Lügnerin entlarven!«

 
    Eins
    Sir John Cranston saß
     auf der Fensterbank eines Schlafgemachs in einem Haus an der Milk Street
     am Rande von Westchepe. Er starrte aus dem Glasfenster, das einen guten
     Blick auf die Kirche von St. Mary Magdalen bot, und beobachtete einen
     wohlhabend aussehenden Reliquienhändler, der seinen Stand aufbaute
     und die Kunden zusammenrief. Cranston lächelte ohne Heiterkeit, als
     er den Burschen krähen hörte; leise klangen die Worte von der
     Straße herauf.
    »Schaut her, ich habe
     hier Jesu Milchzahn, den er mit zwölf Jahren verlor! Einen Finger vom
     Hl. Sylvester! Ein Stück von dem Sattel, auf dem Christus nach
     Jerusalem einritt. Und in dieser schön beschlagenen Kiste den Arm des
     Hl. Polycarp - das einzige, was von ihm übrigblieb, nachdem die Löwen
     ihn in Rom in der Arena in Stücke gerissen hatten. Ihr guten Leute,
     diese vom Heiligen Vater gesegneten Reliquien können Wunder wirken
     und tun es auch!«
    Cranston sah, wie sich
     leichtgläubige Zuschauer um ihn drängten. Ein Gauner, dachte er.
     Er schaute hinüber zu dem Leichnam, der auf dem Vierpfostenbett
     aufgebahrt lag, sorgsam in ein Leichentuch gewickelt; nur das Gesicht
     schaute hervor, das mit offenem Mund und halb geschlossenen Augen auf dem
     Kissen ruhte.
    »Es tut mir leid«,
     murmelte Cranston in das stille Zimmer. Er stand auf, trat an das Bett und
     betrachtete das graue, eingefallene Gesicht
     seines ehemaligen Kameraden.
    »Es tut mir leid«,
     wiederholte er. »Ich, Sir John Cranston, des Königs Coroner in
     London, ein Mann, der mit Fürsten speist, der Gemahl der Lady Maude
     aus Tweng in Somerset, Vater der beiden Kerlchen, meiner geliebten Söhne
     Francis und Stephen, ich bin traurig, weil ich dir nicht helfen konnte.
     Dir, meinem Waffenbruder, meiner rechten Hand in unseren Schlachten gegen
     die Franzosen. Jetzt liegst du da, ermordet, und ich kann es nicht einmal
     beweisen.«
    Cranston schaute sich in dem
     Schlafgemach um und betrachtete die kostbare Einrichtung: silberne Becher,
     ein fein geschnitztes Lavarium, Schränke und taftgepolsterte Stühle,
     seidene Kissen und Baldachine und einen Kandelaber aus Goldfiligran.
    »Was nützt es
     einem Mann«, murmelte Cranston, »wenn er die ganze Welt gewänne
     - nur um dann von seiner Frau umgebracht zu werden?«
    Er fischte zwei Pennies aus
     seiner Börse und legte sie dem Toten auf die Augenlider; dann
     bedeckte er das Gesicht mit dem Leichentuch. Er seufzte und ging zum Fußende
     des Bettes. Als es plötzlich hinter ihm raschelte, schrak er
     zusammen.
    »Verfluchte Ratten!«
     knurrte er, als er den geschmeidigen, langschwänzigen, fetten Nager
     sah, der unter einen Schrank glitt und an der Holztäfelung scharrte.
     Ein zweites Tier kam
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