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Der Zorn Gottes

Der Zorn Gottes

Titel: Der Zorn Gottes
Autoren: Paul Harding
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der Mann, »warum tust du uns das an?«
    »Du weißt, warum!«
     kreischte das Mädchen plötzlich und beugte sich vor. »Du
     hast meine Mutter umgebracht, um diese Hure zu heiraten.« Ihre Hand
     schoß vor und deutete auf die goldblonde, hübsche zweite Frau
     ihres Vaters.
    »Das ist nicht wahr«,
     antwortete er. »Elizabeth, deine Mutter ist krank geworden und
     gestorben. Ich konnte nichts dagegen tun.«
    »Lügen!«
     kreischte das Mädchen.
    Sprachlos vor Entsetzen
     starrten der Mann und seine Frau das Mädchen an, das immer, wenn es
     dunkel wurde, ein anderer Mensch wurde, ein wahres Zankweib, eine Hexe der
     Nacht, die behauptete, daß der Geist ihrer Mutter sie besuche und
     beide als Mörder, Attentäter und Giftmischer beschimpfte.
    »Hört nur!«
     zischte sie. »Mutter kommt wieder!«
    Der Mann ließ den Arm
     von den Schultern seiner Frau sinken; ein Schauer lief ihm über den Rücken,
     und seine Nackenhaare sträubten sich angstvoll. Und richtig, im
     ganzen Haus begann es zu tappen und zu klopfen. Erst im Erdgeschoß,
     dann immer weiter oben, als krieche etwas zwischen Wand und Täfelung
     herauf; langsam und vorsichtig wie eine von der Hölle ausgespuckte
     Kreatur, bahnte es sich seinen scheußlichen Weg zu dieser
     Schlafkammer. Immer lauter wurde das Klopfen und erfüllte bald den
     ganzen Raum. Der Mann hielt sich die Ohren zu.
    »Aufhören!«
     schrie er. Er riß sich das Kruzifix vom Gürtel und streckte es
     seiner bleichen Tochter entgegen. »Im Namen Jesu Christi, ich
     befehle dir, aufzuhören!«    
    Aber das Klopfen ging weiter
     - ein ratterndes Geklapper, das ihn um den Verstand zu bringen drohte.   
    »Ich kann nicht mehr«,
     flüsterte die Frau an seiner Seite. »Walter, ich kann nicht
     mehr.«
    Sie rannte die Treppe
     hinunter und ließ ihren schreckensstarren Mann stehen. Plötzlich
     hörte das Klopfen auf. Das Mädchen beugte sich vor, und ihre
     Gesichtshaut war nicht nur weiß, sondern so straff, daß ihr
     Kopf wie ein Totenschädel wirkte; ein Eindruck, der durch das
     rabenschwarze, am Hinterkopf zu einem festen Knoten gebundene Haar noch
     verstärkt wurde. Der Mann tat einen Schritt nach vorn und schaute
     seiner Tochter in das fahle Gesicht. Ihre Augen waren leblos, zwei kleine
     Punkte aus schwarzem Obsidian, die ihn haßerfüllt anfunkelten,
     und die roten, weichen Lippen kräuselten sich in bitterem Hohn.
    Er wollte noch einen Schritt
     machen, als das Rattern wieder begann, ein kurzer, heftiger Lärm, der
     gleich wieder erstarb. Der Mann roch den furchtbaren Gestank, an den er
     sich noch gut erinnern konnte. Sein Mut verließ ihn; er fiel auf die
     Knie und starrte seine Tochter mitleidheischend an.
    »Elizabeth!«
     flehte er. »Im Namen Gottes!«
    »Im Namen Gottes,
     Walter Hobden, du bist ein Mörder!«
    Der Mann hob den Kopf. Seine
     bleiche Tochter starrte ihn an; ihre Lippen bewegten sich, aber die Stimme
     war die seiner toten Frau - genau ihre Intonation, die Art, wie sie das
     »R« in seinem Vornamen betonte.
    »Walter Hobden, Fluch
     über dich für den Wein, den du mir gegeben hast, und das rote
     Arsen, das er enthielt - ein tödlicher Trank, der meinen Magen zerfraß
     und mein Leben vorzeitig beendete, damit du dich ungehindert deinen
     schmutzigen Gelüsten und heimlichen Wünschen hingeben konntest.
     Ich war deine Frau. Ich bin deine Frau. Und ich komme aus dem Fegefeuer,
     um dich zu warnen. Solange deine Seele mit meinem Blut besudelt ist, werde
     ich dich heimsuchen. Glaube mir, ich habe den Ort gesehen, der in der Hölle
     auf dich wartet. Du mußt gestehen! Ich will Gerechtigkeit - erst
     dann bekommst du deine Absolution.«
    Walter Hobden duckte sich,
     zitternd vor Angst.
    »Nein! Nein! Nein!«
     murmelte er. »Das ist nicht wahr! Es ist eine Lüge!«
    »Keine Lüge!«
     kreischte die Stimme.
    Hobden konnte nicht mehr. Er
     drehte sich um, kroch wie ein geprügelter Hund aus dem Raum und
     rannte die Treppe hinunter, während seine Tochter erzitterte, die
     Augen schloß und in die Kissen zurücksank. 
    Hobden schloß seine
     Kammertür von innen, lehnte sich dagegen, atmete tief ein und starrte
     mit wildem Blick in das angsterfüllte Gesicht seiner zweiten Frau.
     Sie reichte ihm einen Becher Wein.
    »Trink, Gemahl.«
    Er taumelte auf sie zu, riß
     ihr den Becher aus der Hand und stürzte den schweren, süßen
     Wein herunter.
    »Was soll ich tun?«
     fragte er mit rauher Stimme. »Warum tut Elizabeth mir das an?«
    Er
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