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Der Ziegenchor

Der Ziegenchor

Titel: Der Ziegenchor
Autoren: Tom Holt
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schwierig erwiesen, während ich andererseits Strapazen und Torturen überstanden habe, denen viel größere Männer mit weit schönerem Federkleid zum Opfer gefallen sind. Wenn ich diesen Vergleich bis zum Äußersten strapaziere, dann kann ich sogar behaupten, daß dieser Hahnenkampf eine kurze Darstellung der Geschichte Athens zu meinen Lebzeiten ist. Dabei entspricht Athen natürlich Euryalos dem Feindzerschmetterer. Falls Ihr Gedächtnis, werter Leser, nicht so schlecht ist, wie meins im Laufe der letzten Jahre geworden ist, wird Ihnen nicht entfallen sein, daß sich der Feindzerschmetterer die letzte Begegnung mit einer Reihe von Siegen über äußerst beeindruckende Gegner erkämpft hatte und es sich dabei um einen Entscheidungskampf handelte, und zwar gegen einen Kontrahenten, den er nach allgemeiner Ansicht einfach hätte hinwegfegen müssen, was allerdings genau umgekehrt geschah. Fügen Sie noch Euryalos’ gewaltige Größe und die Pracht der Federn und des Kamms hinzu, dann haben Sie eine Vorstellung von Athen, wie es zu meiner Kindheit war, genau zwei Jahre vor Ausbruch des Großen Peloponnesischen Kriegs.
     
    Dem Buchhändler Dexitheos, der mich gut bezahlt hat, damit ich das hier schreibe, wäre es viel lieber, wenn ich auf ganz korrekte Art und Weise mit etwas Ähnlichem angefangen hätte wie ›Dies ist die Geschichte des Eupolis von Pallene, niedergeschrieben, um die ruhmreichen Taten der Menschen niemals gänzlich in Vergessenheit geraten zu lassen‹ und dann fortfahren würde, den Ursprung der Götter, die Geburt der göttlichen Athena und ihre Gründung der Stadt, die Kindheit und heroischen Taten des Theseus und die zweite Gründung Athens, die Reformen des Solon, die Tyrannei des Peisistratos und die Rolle der Athener in den Perserkriegen zu erzählen.
    Diesbezüglich gehen Dexitheos’ und meine Meinung allerdings vollkommen auseinander. Dexitheos meint, ein Buch, das sich als Historie bezeichnet, sollte auch viel Geschichte enthalten. Ich hingegen behaupte, daß meine Leser entweder Athener sind, denen diese Dinge sowieso schon bekannt sind, oder sich aus Barbaren und Ausländern zusammensetzen, die überhaupt nichts über unsere Stadt wissen. Folglich würde jedes Vorwort, durch das letztere auf ein Verständnis all dessen hoffen könnten, was ich zu erzählen vorhabe, wahrscheinlich doppelt so lang wie das Buch selbst und alles andere als unterhaltsam geraten. Ich habe deshalb die Absicht, mich geradewegs in die Erzählung zu stürzen und es meinen Lesern selbst zu überlassen, problematische Stellen bei der Lektüre zu klären. Ich bin überzeugt, daß Sie bald den richtigen Dreh herausfinden werden, und wenn das Dexitheos nicht paßt, kann er sich ja jemand anders suchen, der ihm die ganzen ägyptischen Papyrosrollen vollschreibt, die er letzten Sommer so billig gekauft und auf denen er seither sitzengeblieben ist.
    Trotzdem stehe ich immer noch vor dem Problem, wo ich mit meiner Erzählung beginnen soll. Ich habe nämlich vor, meine gesamte Lebensgeschichte von der Geburt in der Stadt Pallene, achtunddreißig Jahre nach der Schlacht bei Salamis, bis zum heutigen Tag zu erzählen. Allerdings ist bisher noch nie jemand egoistisch genug für ein derartiges Vorhaben gewesen, und ich muß gestehen, daß mich meine eigene Absicht schon jetzt mit Besorgnis erfüllt. Deshalb bin ich versucht, die Ereignisse in meinen frühen Jahren zu überspringen und mich auf die Zeit zu beschränken, an die ich mich am besten erinnern kann und die zudem bestens mit den interessantesten Abschnitten der Geschichte Athens zusammenfällt. Aber wenn ich so vorgehe und Sie nicht mehr über Athen wissen als das, was ich Ihnen gerade erzählt habe oder was Sie vielleicht auf den Hälsen von Weinamphoren gelesen haben, dann werden Sie sich schon bald überhaupt nicht mehr zurechtfinden und über die Investition einer ganzen Silberdrachme in ein solch schwer verständliches Buch ziemlich aufgebracht sein. Beginne ich jedoch mit meiner Lebensgeschichte ganz am Anfang und arbeite mich beharrlich bis zum Ende durch, werden meine Leser mit ihrer Geduld bereits am Ende sein, noch bevor ich den Durchbruch meines ersten Milchzahns beschrieben habe, und dann Dexitheos rund um den Marktplatz verfolgen, um lautstark ihr Geld zurückzufordern.
    Daher bleibt mir keine andere Möglichkeit, als Ihnen mein Wort als Athener und treuer Diener der Musen zu geben, daß sich dieses Buch, sobald es erst einmal richtig in Fahrt gekommen
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