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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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solche Arbeit nicht mehr machen, aber ich sorgte dafür, daß er genausoviel trug wie ich.
    Wenn wir uns bückten und jeder von uns nach einem Sackzipfel griff, merkte ich, wie er abwartete, bis ich ihm die Last abnahm. Aber ich sagte, »Eins, zwei, drei...« und zog erst, wenn ich ihn den Arm anspannen sah. Wenn ich mehr für ihn tun sollte, dann wollte ich es von ihm laut und deutlich bestätigt haben. Als wir fertig waren, traten wir zurück, wie Arbeiter das tun, und betrachteten unser Werk. Mein Vater stützte sich mit der Hand gegen die Wand und atmete schwer. Ich atmete absichtlich so leicht ich konnte, durch die Nase, obwohl mir dabei schwindlig wurde. Die Hände stützte ich lässig in die Hüften. »Zu was brauchst du das alles?« Ich glaubte, ich hätte jetzt ein Recht zu fragen.
    Er schnappte zwischen Atemstößen nach Worten. »Für. den Garten.« Ich wartete auf eine Fortsetzung, aber nach einer Pause wandte er sich zum Gehen. In der Tür griff er nach Toms Arm. »Sieh bloß, wie deine Hände wieder aussehen«, jammerte er, ohne zu merken, was er mit seiner Hand auf Toms Hemd anrichtete. »Los jetzt, hinauf mit dir.« Ich blieb noch einen Augenblick und drehte dann die Lichter aus. Als er das Knipsen hörte, so schien mir, blieb mein Vater am
    Treppenende stehen und mahnte mich streng, auch ja die
    Lichter auszumachen, bevor ich nach oben ging.
    »Hab ich doch grade«, sagte ich gereizt. Aber er hustete laut im Hinaufgehen.
    Er hatte seinen Garten weniger angelegt als konstruiert, nach Plänen, die er manchmal abends auf dem Küchentisch
    ausbreitete; wir schauten ihm dann über die Schulter. Schmale Plattenpfade waren in kunstvollen Kurven unterwegs zu
    Blumenbeeten, die nur ein paar Schritte entfernt lagen. Ein Pfad wand sich in Spiralen an einem Steingarten hoch, als sei es ein Gebirgspaß. Einmal ärgerte Vater sich, als er sah, daß Tom den Steingarten hochstieg, indem er den Pfad wie eine kurze Stiege benutzte.
    »Geh ordentlich hinauf«, schrie er aus dem Küchenfenster. Ein Rasen von der Größe eines Bridgetisches war einen knappen Meter erhöht auf einem Felshaufen angelegt. An seinem Rand war gerade Platz genug für eine einzelne Reihe Ringelblumen. Er nannte das als einziger den hängenden Garten. Genau in der Mitte des hängenden Gartens stand ein tanzender Pan aus Gips. Da und dort waren unvermutete Treppen, runter, dann rauf. Es gab einen Teich mit blauem Plastikgrund. Einmal brachte er zwei Goldfische in einer Plastiktüte heim. Die Vögel fraßen sie noch am selben Tag. Die Wege waren so schmal, daß man leicht das Gleichgewicht verlieren und in die Blumenbeete fallen konnte. Von Blumen wollte er, daß sie ordentlich und symmetrisch waren. Tulpen hatte er am liebsten und pflanzte sie in wohl bemessenen Abständen. Büsche, Efeu oder Rosen mochte er nicht. Er duldete kein Gewirr. Rechts und links von uns waren die Häuser abgerissen worden, und im Sommer wucherte auf den leeren Grundstücken üppig das Unkraut mit seinen Blüten. Vor seinem ersten Herzinfarkt hatte er um seine eigene kleine Welt eine hohe Mauer bauen wollen.
    In der Familie gab es einige stehende Witze, von meinem Vater aufgebracht und beibehalten. Gegen Sue, weil sie fast unsichtbare Augenbrauen und Wimpern hatte, gegen Julie, weil sie unbedingt eine berühmte Sportlerin werden wollte, gegen Tom, weil er manchmal sein Bett vollpißte, gegen Mutter, weil sie schwach war im Rechnen, und gegen mich, weil ich damals die ersten Pickel kriegte. Einmal beim Abendessen reichte ich ihm einen Teller, und er bemerkte, er möchte nicht, daß sein Essen meinem Gesicht zu nahe käme. Das Gelächter war prompt und rituell. Weil Witzchen dieser Art immer von meinem Vater inszeniert waren, richteten sie sich nie gegen ihn. Am gleichen Abend sperrten Julie und ich uns in ihrem Zimmer ein und machten uns daran, ganze Seiten mit plumpen, überstrapazierten Witzen vollzuschreiben. Alles, was uns einfiel, kam uns komisch vor. Wir fielen aus dem Bett auf den Boden, hielten uns die Seiten und kreischten vor Vergnügen. Draußen hämmerten Tom und Sue an die Tür und wollten hereingelassen werden. Unsere besten Witze, glaubten wir, waren die mit Frage und Antwort. Mehrere galten Vaters Verstopfung. Aber wir kannten die wahre Zielscheibe. Wir wählten den besten aus, feilten und probten ihn. Dann warteten wir ein, zwei Tage. Es war beim Abendessen, und zufällig kam er auch wieder mit einem Späßchen über meine Pickel daher. Wir warteten, bis
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