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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten
Autoren: Ian McEwan
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verbergen. Ich sehnte mich danach, meine ältere Schwester zu untersuchen, aber das war in dem Spiel nicht vorgesehen.
    »Noonn?« Wir wälzten Sue auf die Seite und dann auf den Bauch. Wir strichen ihr mit den Fingernägeln über Rücken und Schenkel. Wir schauten ihr mit einer Taschenlampe in den Mund und zwischen die Beine und fanden die kleine Blume aus Fleisch.
    »Was sagen Sä dazo, Herr Docktor?« Julie strich mit einem angefeuchteten Finger darüber, und ein leichtes Zittern lief Sues knochiges Rückgrat entlang. Ich schaute genau zu. Ich befeuchtete meinen Finger und ließ ihn über den von Julie gleiten.
    »Nächts Ärnstes«, sagte sie schließlich und drückte den Schlitz mit Zeigefinger und Daumen zu. »Aber wir wärden weitere Äntwäcklonk verfolgen, wie?« Sue drängte uns weiterzumachen. Julie und ich sahen einander an, wissend, und wußten nichts.
    »Julie ist dran«, sagte ich.
    »Nein«, sagte sie wie immer. »Du bist dran.« Auf dem Rücken liegend, bettelte Sue weiter. Ich ging durchs Zimmer, hob Sues Rock auf und schmiß ihn auf sie.
    »Kommt nicht in Frage«, sagte ich durch eine nicht vorhandene Pfeife. »Und damit Schluß.« Ich schloß mich im Bad ein und setzte mich auf den Rand der Wanne, die Hosen hingen an den Knöcheln. Ich dachte an Julies hellbraune Finger zwischen Sues Beinen, während ich mich zu meinem schnellen, trockenen Stich von Lust brachte. Ich blieb vornübergebeugt sitzen, nachdem sich der Krampf gelöst hatte, und wurde mir bewußt, daß die Stimmen unten schon lang verstummt waren.
    Am nächsten Morgen ging ich mit meinem jüngeren Bruder Tom hinunter in den Keller. Er war groß und in eine Reihe von zwecklosen Räumen unterteilt. Tom klammerte sich an mich, als wir die Steintreppen hinunterstiegen. Er hatte von den Zementsäcken erfahren und wollte sie jetzt sehen. Die Kohlenluke führte in den größten der Räume, und die Säcke lagen so, wie sie heruntergefallen waren, über den Kohlenresten vom letzten Jahr verstreut. An der einen Wand stand eine massige Blechkiste, die irgendetwas mit Vaters kurzer Militärzeit zu tun hatte, und eine Weile dazu diente, den Koks von der Kohle getrennt zu lagern. Tom wollte hineinschauen, also hob ich den Deckel für ihn hoch. Die Kiste war leer und geschwärzt, so schwarz, daß wir in dem staubigen Licht den Boden nicht sehen konnten. Tom, der glaubte, in ein tiefes Loch zu starren, hielt sich am Rand fest, rief in den Kasten hinein und wartete auf das Echo. Als nichts passierte, wünschte er die anderen Räume zu sehen. Ich führte ihn zu einem näher an der Treppe. Die Tür hing kaum mehr in den Angeln, und als ich sie aufstieß, fiel sie ganz heraus. Tom lachte und bekam nun doch sein Echo aus dem Raum, in dem wir vorher waren. Hier lagen Pappkartons mit schimmligen Kleidern, von denen mir keins bekannt vorkam. Tom fand einige seiner alten Spielsachen. Er drehte sie verächtlich mit dem Fuß um und erklärte mir, sie waren etwas für Babys. Hinter der Tür lag in einem Haufen ein altes MessingGitterbett, in dem wir alle irgendwann schon geschlafen hatten. Tom wollte, daß ich es für ihn zusammensetzte, und ich erklärte ihm, Gitterbetten wären auch etwas für Babys.
    Am Fuß der Treppe trafen wir unseren Vater, der gerade herunterkam. Ich sollte, sagte er, bei den Säcken mit anpacken. Wir gingen mit ihm in den großen Raum zurück. Tom hatte
    Angst vor seinem Vater und hielt sich ein gutes Stück hinter mir. Julie hatte kürzlich zu mir gesagt, jetzt, wo Vater Halbinvalide sei, müsse er mit Tom um Mutters Aufmerksamkeit konkurrieren. Das war ein sonderbarer Gedanke, und ich dachte lange darüber nach. So einfach, so grotesk, Konkurrenz zwischen einem kleinen Jungen und einem erwachsenen Mann. Später fragte ich Julie, wer gewinnen würde, und sie sagte ohne zu zögern, »Tom natürlich, und Daddy wird’s an ihm auslassen.«
    Und er war streng mit Tom, nörgelte und stichelte dauernd an ihm herum. Er setzte Mutter ähnlich gegen Tom ein, wie seine Pfeife gegen sie. »Sprich nicht in diesem Ton mit deiner Mutter«, oder, »Sitz gerade, wenn deine Mutter mit dir redet.« Sie nahm das alles schweigend hin. Wenn Vater dann aus dem Zimmer ging, lächelte sie Tom kurz zu oder strich ihm die Haare glatt. Jetzt blieb Tom ein Stück vor der Tür stehen und sah zu, wie wir die einzelnen Säcke gemeinsam über den Boden schleiften und sie dabei in zwei ordentlichen Reihen an der Wand stapelten. Seit seinem Herzschlag durfte mein Vater
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