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Der Zeitläufer

Der Zeitläufer

Titel: Der Zeitläufer
Autoren: Donald A. Wollheim
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Mittelpunkt seines Seins, in dem er sich selbst versteckte. Und er hatte Angst.
    Seine Kuppel war nicht länger mehr seine Zuflucht, sie wurde zur Falle. Sie bot keine Sicherheit, nur eine Gefahr, die größer war als jede andere, ihm bisher bekannte. Sie war auch anders, schwieriger zu bekämpfen, weil sie in ihm selbst lag, Teil seines Wesens war. Im Versuch, sich selbst zu entrinnen, zog er seinen Anzug an und floh in die Dämmerlandschaft hinaus, wo die Nebelgestalten ihm zuwinkten. Jetzt sah er sie fast klar: blasse, kindhafte Schatten huschten hinter Bäume, immer knapp jenseits der Grenze seiner Sichtfähigkeit, als wüßten sie, daß er sie suchte. Sie höhnten und spotteten: hier bin ich, aber du wirst mich niemals erreichen ...
    Er verfolgte sie, weil er immer sicherer wußte, daß sie real waren. Sie mußten es sein. Einer der Schatten schien zu warten. Er konnte noch nicht ganz den schlanken menschenähnlichen Umriß ausmachen, denn er war nebelfarben, wenn auch selbst nicht Nebel. Er näherte sich, und der Schatten zog sich zurück, wich ihm aus, führte ihn jedoch weiter. Er folgte geduldig, hielt immer eine gleichmäßige Entfernung ein, um den Schatten nicht zu erschrecken. Und schließlich gelang es ihm, sich so weit zu nähern, daß er die Gestalt klar zu erkennen vermochte.
    Es war ein sehr schönes Wesen mit einer durchscheinenden Haut, die bläulich-weiß war wie gewässerte Milch; die Schatten innerer Organe pulsten in blauen, grünen und goldenen Nuancen. Es stand mit dem Rücken zu ihm, eine Statue, die aus lebendem Opal geschnitzt zu sein schien; dann wandte es langsam den Kopf. Er zuckte zurück. Solche Gesichter hatte er in Spukträumen gesehen: weiß, gesichtslos, mit nichts als nur runden, unergründlichen dunklen Augen, die Gucklöcher in die Hölle zu sein schienen. Er fürchtete es nicht, und auch das Wesen hatte keine Angst. Es war kein Feind. Wie konnte er dieses Wesen fürchten, wenn es ihm zu vertrauen schien?
    Es war wirklich. Es lebte. Es studierte ihn aufmerksam, und er wunderte sich, daß das Wesen so kühn war. Wie mußte er dieser Kreatur erscheinen? Ein Monstrum mit einer Schnauze, fast zweimal so groß wie es selbst, das blind durch seine Welt stolperte und durch eine Filtermaske atmen mußte. Konnte es sich, falls es Alpträume hatte, etwas so Fremdartiges vorstellen?
    Es lebte, war in seiner Nähe und sah nicht weniger menschlich aus als ein Affe. Wenn er Freundschaft damit schließen könnte ... Nein, fürchten würde er dieses Wesen nicht. Er streckte die Hand aus, die offene Handfläche nach oben. Das Wesen glitt mit einer schlangenhaften Bewegung davon, außerhalb seiner Reichweite, blieb aber in der Nähe. Es sah ihn an, und das war wie eine Einladung. Er nahm auch die Geste so auf und folgte ihm zwischen die Bäume. Es schien nach Feinden Ausschau zu halten, ihn jedoch nicht zu diesen Feinden zu zählen. Das schmeichelte ihn, und er kam sich vor, als gehe er mit einer Katze spazieren, die ihn begleitete, weil es ihr so gefiel, nicht deshalb, weil er es so wünschte.
    Als sie dann zum Dorf kamen, hatte es ihn so manövriert, daß er es zuerst betrat, und es war ein Schock für ihn, dieses Dorf als das zu erkennen, was es war: eine bewohnte Siedlung.
    Oder eine Siedlung, die bewohnt gewesen war. Verblüfft besah er sich die groben, kistenähnlichen Wohnungen, die sich um ihn herum aneinanderdrängten, denn Wohnungen mußten es sein. Sie waren herausgehackt aus einem groben, faserigen Zeug, das hartem Torf glich, und sie hatten Türen, wenn auch keine Fenster. Er ging in eine dieser Wohnungen hinein und sah verschiedene Gegenstände am Boden verstreut, konnte sich aber nicht vorstellen, wozu sie gebraucht wurden. Jedenfalls waren sie real.
    Erst hatte er gefürchtet, alles sei nur ein Hirngespinst, aber diese Hütten waren keine Illusion. Denkende Wesen hatten sie gebaut, die Werkzeuge zu benützen verstanden, aber die Erbauer waren jetzt nicht mehr da. Wohin waren sie gegangen? Warum? Wann? Vor einem Menschenalter, oder erst als er kam? Es gab keine Möglichkeit, dies zu erfahren.
    Das Wesen stand wartend da, als wolle es ungeduldig weitergehen. Wieder folgte er und überlegte, wohin er gebracht werden sollte, bis sie zu einer weiten Mulde kamen, wie er sie bisher auf Deirdre noch nie gesehen hatte.
    Im Moos entdeckte er da und dort winzige Tümpel aus Sickerwasser, die von einer Wirrnis dicker, bauchiger Flechten umgeben waren. Solche Exemplare hatte er bisher noch
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