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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg
Autoren: Thomas Mann
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hast du die Absicht, mich für immer zu duzen?
«
    »
Aber ja. Ich habe dich schon immer geduzt und ich werde dich ewig duzen.
«
    »
Das ist denn doch etwas stark. Jedenfalls wirst du nicht mehr allzu lange Gelegenheit haben, mir ›du‹ zu sagen. Ich werde abreisen.
«
    Das Wort brauchte einige Zeit, bis es ihm ins Bewußtsein drang. Dann fuhr er auf, wirr um sich blickend, wie ein aus dem Schlaf Gestörter. Ihr Gespräch war ziemlich langsam vonstatten gegangen, da Hans Castorp das Französische schwerfällig und wie in zögerndem Sinnen sprach. Das Klavier, das kurze Zeit geschwiegen hatte, tönte wieder, nunmehr unter den Händen {1090} des Mannheimers, der den Slawenjüngling abgelöst und Noten aufgelegt hatte. Fräulein Engelhart saß bei ihm und blätterte um. Der Ball hatte sich gelichtet. Eine größere Anzahl der Pensionäre schien horizontale Lage eingenommen zu haben. Vor ihnen saß niemand mehr. Im Lesezimmer spielte man Karten.
    »Was tust du?« fragte Hans Castorp entgeistert …
    »Ich reise ab«, wiederholte sie, scheinbar verwundert lächelnd über sein Erstarren.
    »Nicht möglich«, sagte er. »Das ist nur Scherz.«
    »Durchaus nicht. Es ist mein vollkommener Ernst. Ich reise.«
    »Wann?«
    »Aber morgen.
Nach dem Mittagessen.
«
    In ihm ereignete sich ein umfangreicher Zusammensturz. Er sagte:
    »Wohin?«
    »Sehr weit fort.«
    »Nach Daghestan?«
    »
Du bist nicht schlecht unterrichtet. Vielleicht, im Augenblick …
«
    »Bist du denn geheilt?«
    »
Das … gerade nicht.
Aber Behrens meint, es sei vorläufig hier nicht mehr viel für mich zu erreichen.
Deswegen werde ich eine kleine Luftveränderung wagen.
«
    »Du kommst also wieder!«
    »Das fragt sich. Es fragt sich vor allem, wann.
Was mich angeht, du weißt, ich liebe die Freiheit über alles, und insbesondere diejenige, meinen Aufenthaltsort zu wählen. Du begreifst wohl nicht, was das heißt: besessen sein von der Unabhängigkeit. Vielleicht liegt es in meiner Rasse.
«
    »
Und dein Mann in Daghestan gewährt sie dir, – deine Freiheit?
«
    »
Die Krankheit gibt sie mir. Da bin ich nun zum drittenmal an diesem Ort. Ich habe diesmal hier ein Jahr verbracht. Möglicherweise werde ich zurückkehren. Aber du wirst dann schon längst weit fort sein.
«
    »Glaubst du, Clawdia?«
    {1091} »
Auch mein Vorname! Wirklich, du nimmst die Karnevalssitten sehr ernst!
«
    »Weißt du denn, wie krank ich bin?«
    »
Ja – nein – wie man solche Dinge hier weiß. Du hast eine kleine feuchte Stelle da drinnen und ein bißchen Fieber, nicht wahr?
«
    »
Siebenunddreißig acht oder neun am Nachmittag
«, sagte Hans Castorp. »Und du?«
    »
Oh, mein Fall, weißt du, ist etwas komplizierter … nicht so ganz einfach.
«
    »
Es gibt da etwas in jenem Zweig der humanistischen Wissenschaften, der Medizin heißt,
« sagte Hans Castorp, »
das man tuberkulöse Lymphgefäßverstopfung nennt.
«
    »
Ah! Du hast spioniert, mein Lieber, das sieht man wohl.
«
    »
Und du
 … Verzeih mir! Laß mich dich jetzt etwas fragen, dich dringlich und auf Deutsch etwas fragen! Als ich damals von Tische zur Untersuchung ging, vor sechs Monaten … Du blicktest dich um nach mir, erinnerst du dich?«
    »
Was für eine Frage? Vor sechs Monaten!
«
    »Wußtest du, wohin ich ging?«
    »
Sicher, völlig zufällig …
«
    »Du wußtest es von Behrens?«
    »
Immer dieser Behrens!
«
    »
Oh, er hat deine Haut auf so präzise Art dargestellt … Übrigens ist er ein Witwer mit blauen [erhitzten] Backen und besitzt eine sehr bemerkenswerte Kaffeegarnitur … Ich glaube doch, daß er deinen Körper nicht nur als Arzt kennt, sondern auch als Adept einer anderen Disziplin der humanistischen Wissenschaften.
«
    »
Du sagst ganz entschieden zu Recht, daß du im Traum redest, mein Freund.
«
    »
Sei’s drum … Laß mich von neuem träumen, nachdem du mich mit dieser Alarmglocke von deiner Abfahrt so grausam aufgeweckt hast. Sieben Monate unter deinen Augen … Und jetzt, wo ich in der Wirklichkeit deine Bekanntschaft gemacht habe, redest du mir von Abfahrt!
«
    {1092} »
Ich wiederhole dir, daß wir uns schon früher hätten unterhalten können.
«
    »Du hättest es gewünscht?«
    »
Ich? Du weichst mir nicht aus, mein Kleiner. Es handelt sich um deine Interessen. Warst du zu ängstlich, um dich einer Frau zu nähern, mit der du jetzt im Traum sprichst, oder gab es jemanden, der dich davon abgehalten hat?
«
    »
Ich habe es dir schon gesagt. Ich wollte nicht ›Sie‹ zu dir
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