Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauber einer Winternacht

Der Zauber einer Winternacht

Titel: Der Zauber einer Winternacht
Autoren: CATHLEEN GALITZ
Vom Netzwerk:
Gleichzeitig schaute sie zum tausendsten Mal auf ihre Armbanduhr.
    „Es spricht nichts dagegen, dass der Flug pünktlich startet. Aber Sie wissen sicherlich, was man über das Wetter in Wyoming sagt: Wenn es dir nicht gefällt, warte eine Viertelstunde. Es wird sich ändern.“
    Gillian seufzte innerlich. Was für das Wetter von Wyoming galt, traf auch auf die Männer zu … Im selben Moment entdeckte sie Bryce, der sich im Laufschritt dem Flugsteig näherte. Sie war zutiefst erleichtert. Zugleich aber beschleunigte sich ihr Puls, und sie fühlte sich plötzlich wie eine Sechzehnjährige beim ersten Rendezvous. Einerseits ärgerte sie das, andererseits konnte sie vermutlich froh sein, dass sie überhaupt noch Gefühle aufbrachte.
    Lange Zeit hatte sie nichts empfunden außer Schmerz, und sie hatte jeden, der ihr emotional zu nahe zu kommen drohte, schroff zurückgestoßen.
    Sämtliche Frauen in der Nähe reckten die Hälse, um einen Blick auf den gut aussehenden Mann werfen zu können, der neben ihr stehen blieb. Gillian musste sich zur Ordnung rufen. Bryce gehörte nicht mehr zu ihr. Der Besitzerstolz, der sich sofort in ihr gemeldet hatte, war völlig fehl am Platze. Sie reichte ihm wortlos und mit vorwurfsvollem Blick sein Ticket. Er hingegen hielt es nicht für nötig, sein Zuspätkommen zu erklären oder sich gar dafür zu entschuldigen, und das ärgerte sie nur noch mehr.
    In der kleinen Propellermaschine zwängte Gillian sich auf ihren Fensterplatz. Um dem Blickkontakt mit Bryce auszuweichen, schaute sie nach draußen, wo Männer in dicken Overalls die Flügel der Maschine enteisten. Das trostlose Grau des Flugfeldes passte nur zu gut zu ihrer Stimmung.
    „Immer noch nervös beim Fliegen?“, fragte Bryce, als er neben ihr Platz nahm.
    Sie nickte. Früher hatte er beim Start stets ihre Hand gehalten. „Der Start ist das Unangenehmste.“
    „Jeder Start ist besser als eine holprige Landung“, meinte Bryce.
    Die Hände um die Armlehnen verkrampft, fragte Gillian sich, ob seine Bemerkung sich nicht eher auf die Bruchlandung ihrer Ehe bezog als auf die bevorstehende Landung in Jackson Hole.
    „Ladies und Gentlemen, willkommen an Bord“, begrüßte sie eine Männerstimme über die Sprechanlage. „Unsere Reiseflughöhe wird bei etwa 8500 Metern liegen. Die Temperatur in Jackson Hole beträgt derzeit minus elf Grad. Da die Flugzeit sehr kurz ist, schlage ich vor, während des gesamten Fluges die Sicherheitsgurte angelegt zu lassen.“
    Nach dem Anschnallen legte Bryce beruhigend seine Hand auf Gillians Oberschenkel. Die Berührung brannte wie Feuer, trotz der vielen dicken Lagen Kleidung, die sie trug. Gillian löste die Umklammerung ihrer Finger erst von den Armlehnen, als nach dem Start das Fahrwerk eingeholt wurde. Hoffentlich hatte Bryce nicht bemerkt, wie sehr sie sich verkrampft hatte.
    „Danke“, murmelte sie.
    „Gern geschehen.“ Bryce lächelte sie an, und sie fragte sich, ob er auch merkte, wie es zwischen ihnen knisterte.
    Gillian verscheuchte den Gedanken, bevor er sich festsetzen konnte. Sie legte die Hände in den Schoß, damit sie nicht gar zu offensichtlich zitterten, und schaute angelegentlich aus dem Fenster.
    Schneezäune zogen ein Gewirr dunkler Linien über die weite Ebene von Wyoming. Von hier oben sah die Landschaft fast so aus wie die arktische Tundra von Alaska. Die ersten Siedler hatten es sehr schwer gehabt, und Gillian konnte sich ihre Lebensbedingungen kaum vorstellen.
    Bryce kam mit einem anderen Passagier ins Gespräch. Es ärgerte Gillian, wie viel lockerer er mit Wildfremden plaudern konnte als mit ihr. Gegen Ende ihrer Ehe war es ihnen schon schwergefallen, auch nur simple Höflichkeitsfloskeln auszutauschen. Echte tiefgehende Gespräche hatte es längst nicht mehr gegeben. Da waren sie also wieder – die schrecklichen Gefühle, die sie während der Scheidung durchlitten hatte. Genau davor hatte sie sich gefürchtet, als sie beschloss, Bryce aufzusuchen.
    Gillian hatte Angst, in die Einsamkeit der endlosen Weiten Wyomings zurückzukehren. Alles dort würde sie an längst vergangene Tage erinnern. Vor Kurzem hatte sie noch geglaubt, sie könne der Vergangenheit davonlaufen, aber jetzt war sie nicht mehr so sicher.
    Die Scherben ihres Lebens ließen sich nicht so einfach kitten. Doch mit dem Blick von hier oben eröffnete sich ihr unerwartet eine neue Perspektive: Vielleicht wäre es besser gewesen, am Ort ihrer Kindheit zu bleiben, statt in eine andere Welt zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher