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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati
Autoren: Camille de Peretti
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streuen, die Sterne versprechen. Er war alles, wovon ich träumte. Respektlos. Ohne Ängste außer jenen, die er selbst genüsslich pflegte. Ein Opfer der Welt, nie seiner selbst. Ich hatte Angst, vor allem vor mir, ich verbarg meine Vorlieben und Abneigungen, ich kotzte still und fand, das sei auch nicht schlimmer als eine andere Krankheit. Ich bewunderte eine Menge Leute, von denen die meisten gegen Ende des 19. Jahrhunderts gestorben waren. Ich war sehr jung. Ich meinte, die Liebe kennengelernt zu haben, dabei hatte ich nur meine Zähne und Krallen im Verführungsspiel erprobt. Ich hatte noch kein ausreichend schwer wiegendes Scheitern erlebt, dass es für meine Umgebung sichtbar gewesen wäre, die in mir eine gesunde, freundliche und höfliche junge Frau sah. Eine gute Schülerin überdies. In den fünfzehn Jahren Ballettunterricht am Konservatorium hatte ich gelernt, mich nach allen Regeln der Kunst zu verbeugen. Und hier stand einer der freiesten Menschen vor mir, denen ich je begegnet war. Ich war wie berauscht. Ein Maler und Poet, man stelle sich das bloß vor!
    Sofort wollte ich seine Muse sein. Alles hätte ich gegeben, damit er mich zeichnete oder malte oder Oden auf mich verfasste. Unsere erste Wohnung in der Rue de la Pompe verfügte über einen kleinen Balkon, auf den ich einen Klapptisch stellte, sodass er im Stehen malte, sich darüberbeugend. Eines Tages nahm er meine Hand in seine und steckte mir den Pinsel zwischen die Finger. Ich verkrampfte mich, er sagte: «Lass locker.» Mit sicherer, nachdrücklicher Bewegung zog er gerade Striche, und ich spürte die Kraft, mit der er den Pinsel über die Leinwand führte. Mich packte ein schwindelerregendes Liebesgefühl, er öffnete mir das Tor zu seinem Innersten. Das ist einer der wenigen glücklichen Momente, die mein Gedächtnis von unserer Zeit hat bewahren wollen.
    Ich liebte seine Malereien. Man konnte vor ihnen träumen, sie stundenlang betrachten, sich in den Linien und den kontrastierenden Farben verlieren. Eines seiner Gemälde hatte ich unserem Bett gegenüber aufgehängt, und jeden Morgen beim Aufwachen verlor ich mich in seiner Betrachtung. Er hatte Talent – und er war faul. Ich fand, er arbeite nicht genug. Er erwiderte, er habe ja kein Atelier. Ich beschloss, ihm unter die Arme zu greifen, ihn zu stimulieren. Es galt, eine Höhle für ihn zu finden, ein besetztes Haus, das er mit anderen, ebenso verrückten Künstlern teilen könnte. Er wollte bei der Arbeit niemanden neben sich haben, er hatte derart Angst vor dem Urteil anderer, schon eine hochgezogene Augenbraue konnte ihn so aus der Bahn werfen, dass er wochenlang nicht malen konnte. Ich bot an, eine Bleibe am Stadtrand zu suchen, das war ein finanzielles Opfer, aber ich war doch so stolz auf ihn. Aber nein, der Stadtrand war zu weit weg, zu schlecht erreichbar, das wäre alles zu anstrengend. Also fragte ich meine Mutter, ob er nicht mein Mädchenzimmer benutzen könnte. Wir bedeckten die übrigen Möbel mit Planen, und er baute seine Sachen auf. Jeden Nachmittag wollte er malen. Fortan durfte niemand mehr das Zimmer betreten. Und das nicht ohne Grund, denn wenn sich jemand dort hineingewagt hätte, wäre seine Hochstapelei aufgeflogen. Doch seine Anweisungen wurden peinlich genau beachtet, die ganze Wohnung stank nach Terpentin, aber nichts kam dabei heraus. Irgendwann gestand er mir, dass er einfach nicht konnte, er war deprimiert, müde und aggressiv. Angeblich spionierte meine Mutter ihm nach, meine Schwester störte mit ihrem Lärm nebenan. Die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen. Ich wollte einen Familienkrach vermeiden, also holte ich seine jungfräulichen Leinwände aus der Wohnung meiner Mutter ab und richtete ihm in unserem Wohnzimmer ein Atelier ein. Ikea-Regale dienten als Raumteiler, ich hängte eine Plastikplane auf, verteilte seine Staffelei, die Lack- und Lösemitteldosen und reihte Bürsten und Farben ordentlich auf. Am ersten Tag war er voller Elan. Aus den Ölfarbentuben spritzte es nur so an die Wände und auf den Boden, er trat hinein und verteilte die Flecken in der ganzen Wohnung. Am nächsten Tag hatte er schon weniger Schwung, und knapp eine Woche später fasste er keinen Pinsel mehr an. Er meinte, ich sei daran Schuld. Ich nahm die Plane weg, und wir sprachen nicht mehr darüber. Ich war die Frau eines Malers, der nicht malte.
    Dann flog das Geschirr. Das sollte die Liebe sein? Sich anschreien lassen und dann verzeihen? Wie waren wir nur so weit
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