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Der Wolkenpavillon

Der Wolkenpavillon

Titel: Der Wolkenpavillon
Autoren: Laura Joh Rowland
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hätte die Gunst des Shōgun für immer verloren«, sagte Sano, »und dass Ihr sie nun für alle Zeiten besitzt. Was solche Dinge angeht, ist unser Herrscher sehr sprunghaft, wie Ihr ja schon am eigenen Leib erfahren habt.«
    Yanagisawa musterte Sano nachdenklich. »Ich will Euch einen freundschaftlichen Rat geben«, sagte er dann mit einer solchen Selbstsicherheit, als wäre Sano bereits ein geschlagener Mann und als könnte er es sich leisten, großmütig zu sein. »Das Spiel folgt jetzt anderen Regeln. Es geht nicht mehr um den Shōgun, es geht um die Zukunft, wenn er von der Bühne verschwunden ist. Es ist sinnlos, dass wir uns weiterhin herumstreiten und um seine Gunst buhlen.« In Yanagisawas Stimme schwang Verachtung mit, dass sie beide in der Vergangenheit solche Taktiken angewendet hatten. »Der Sieger wird vielmehr derjenige sein, dem es gelingt, sich mit dem Tokugawa-Klan zu verschwägern und sich einen Platz im nächsten Regime zu sichern. Und auch wenn ich dieses Mal gescheitert bin, habe ich immer noch einen Vorsprung vor Euch.«
    Ein boshaftes Grinsen legte sich auf Yanagisawas Lippen. »Ich habe vier Söhne und eine Tochter, alle im heiratsfähigen Alter. Zu schade, dass Eure Kinder noch so klein sind.« Er drehte sich um und ging zu seinen Verbündeten, hielt dann noch einmal inne und sagte über die Schulter: »Diese Runde geht an mich.«
    *

    Vier Tage lang war Hirata durch die Stadt geritten und hatte versucht, die Aufmerksamkeit seines unsichtbaren Gegners auf sich zu lenken. Vier Tage lang hatte er kein Glück gehabt. An diesem Abend, als die Dämmerung sich über Edo senkte, gelangte er auf den Fischmarkt an der Nihonbashi-Brücke.
    Die Verkaufsstände waren verlassen, und die blutroten Strahlen der untergehenden Sonne warfen lange schwarze Schatten über den menschenleeren Platz. Ratten und streunende Hunde wühlten in Haufen von Muschelschalen. Mitten auf dem Marktplatz stieg Hirata von seinem Pferd, entspannte sich und ließ seine geschärften Sinne suchend umherschweifen, doch wieder gelang es ihm nicht, seinen unsichtbaren Feind auszumachen.
    Hirata atmete seine eigene Verzweiflung, die genauso faulig und verdorben roch wie der Fischmarkt. Er fühlte sich erschöpft, und ihm war schwindlig vor Müdigkeit, die von den schlaflosen Nächten und der ständigen gespannten Wachsamkeit herrührte. Die alte Verwundung an seinem Bein schmerzte. Hirata hatte das schreckliche Gefühl, als wären sein Körper und sein Geist als Waffe gegen ihn selbst eingesetzt worden, von seinem rätselhaften Feind, den er einfach nicht aufzuspüren vermochte. Eine solche Strategie war von den Meistern der mystischen Kampfkünste tatsächlich angewendet worden, und nun offenbar auch von Hiratas Feind.
    Doch es gab noch andere Sorgen, die Hirata körperlich und geistig schwächten. Vor seinem Tod hatte Ogita dem Shōgun berichtet, dass Hirata seinen jugendlichen Diener getötet hatte. Der Shōgun, der ohnehin nicht gut auf Hirata zu sprechen war, weil dieser viele junge Tokugawa-Soldaten im Zweikampf getötet hatte, hatte daraufhin befohlen, Hirata von ihm fernzuhalten. Selbst wenn Hirata seine Villa nicht ohnehin hätte räumen müssen, weil Sano sie übernommen hatte - er wäre gezwungen gewesen, das Palastgelände zu verlassen. Nun wohnte er mit seiner Familie auf einem kleinen Anwesen am anderen Ufer des Flusses, ausgestoßen und in Schande.
    Doch Hirata war entschlossen, seine Fehler wiedergutzumachen und sein Ansehen wiederherzustellen. Doch zuerst musste er seinem unsichtbaren Feind von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten. Wenn Hirata unterlag, würde er seinen Bezwinger zumindest sehen und seinen Namen wissen, bevor er starb.
    »Hier bin ich!«, rief er. »Komm und hole mich! Oder hast du Angst?«
    Seine Stimme hallte über den verlassenen Marktplatz. Er lauschte. Dann hörte er Schritte und erstarrte. Sie näherten sich aus allen Richtungen, wie ein Heer, das aus der Dunkelheit auf ihn zurückte. Doch es war nur ein einziger Mann, dessen ruhige, gleichmäßige Schritte zu vernehmen waren. Und mit den Schritten näherte sich auch das unverkennbare, machtvolle Pulsieren der Aura des Unbekannten.
    Obwohl die altvertraute Panik in Hirata aufwallte, blieb er stehen, anstatt erneut den erfolglosen Versuch zu unternehmen, loszulaufen und in einer immer weiteren Spirale nach dem Unbekannten zu suchen. Auch widerstand er dem instinktiven Drang, mit dem Schwert blindwütig um sich zu schlagen. Er musste Kräfte
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