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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Autoren: Ilija Trojanow
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später kennengelernt, genauer gesagt, meine Eltern habe ich nie kennengelernt. Sie kamen zu Besuch, als ich ein Junge war, ein einziges Mal, das ist vielleicht nicht so wichtig. Meine Familie hat seit Generationen den Gaekwad gedient, schon zu der Zeit, als einer der Gaekwad die rechte Hand war von Shivaji. Einer meiner Vorfahren kämpfte an seiner Seite, in der großen Schlacht, nein, das tut nichts zur Sache, bestimmt ist es nur ein Märchen unserer Familie, eine schöne Geschichte, auf die wir stolz sein konnten. Ich glaube, ich war der jüngste Sohn. Bevor meine Mutter mit mir schwanger ging, hatte sie meinem Vater schon sechs Söhne geboren. Alle waren gesund und kräftig. Mein Vater war überglücklich bei der Geburt des ersten Sohnes, er war sehr stolz auf den zweiten Sohn, er war zufrieden mit dem dritten Sohn, danach nahm er jeden weiteren Sohn wie selbstverständlich hin. Aber es gibt keine selbstverständlichen Segnungen, das glaube ich zumindest. Man sollte sich seiner Segnungen bewußt sein. Als bei meiner Mutter die Wehen einsetzten, suchte mein Vater den Jyotish im Palast auf. Er war wohl ein ungeduldiger Mann, er konnte es nicht abwarten zu erfahren, ob dieser Tag unter einem glücklichen Stern stand. Das war ein Fehler, er wurde böse überrascht. Der Stand der Sterne, die ZahlSieben, die Zahl Neun, das Datum, und das Alter meines Vaters, und das Alter meiner Mutter, und …
    – Genug. Verschone mich mit diesem Geschwätz.
    – Geschwätz? Du glaubst nicht daran? Es war der Jyotish des Maharaja.
    – Ich gehöre der Satya Shodak Samaj an, wenn du weißt, was das bedeutet. Wir haben solch primitivem Aberglauben abgeschworen.
    – Die Konstellation aber, sie war wirklich sehr bedrohlich. Wie Dürre und Flut zugleich. Zuviel Glück, erklärte der Jyotish, kann sich ins Gegenteil wandeln. Die Gesundheit des Neugeborenen war in Gefahr, die Zukunft der Familie stand unter schlechten Vorzeichen. Mein Vater war sehr besorgt. Er wollte wissen, was er dagegen unternehmen konnte. Es gibt nur eine einzige Rettung, sagte der Jyotish. Ihre Frau, meine Mutter also, muß eine Tochter zur Welt bringen. Das wird die Ordnung wiederherstellen. Der Jyotish entließ meinen Vater mit einem Fläschchen Niim-Öl und einigen Sprüchen, die er aufsagen sollte, wahrend die Hebamme den Bauch meiner Mutter einrieb, kreisend, im Uhrzeigersinn, jede Stunde einmal …
    – Das langt. Wir verfassen hier kein Lehrbuch der Zauberei.
    – Meine Geburt rückte näher, vor der Kammer meiner Eltern versammelten sich alle Diener des Maharajas, die gerade nicht zu arbeiten hatten, und alle beteten eifrig um ein Mädchen. Die Wehen dauerten an, die Gebete wurden heftiger. Einer holte einen Pujari, ein anderer sammelte Geld, besorgte Kokosnüsse und Girlanden. Ich weiß gar nicht, ob der Priester wirklich Gebete für die Geburt eines Mädchens kannte, oder ob er sie nicht schnell erfand.
    – Ein Improvisationskünstler.
    – Wie bitte?
    – Nichts. Laß dich nicht stören.
    – Mitten in der Nacht öffnete sich die Tür, der Pujari war längst gegangen, nur einige Freunde blieben bei meinem Vater, die Hebamme trat heraus, in ihren Armen das Neugeborene. Es ist ein schönes Kind, sagte sie beglückt, wohlauf, gesund. Gesund, was heißt hier gesund? schrie mein Vater. Ist es ein Mädchen? Und die Hebamme vergaß wohl in ihrer Erschöpfung den Grund für die ganzeAufregung und antwortete ihm: Nein, Krishna sei Dank, nein, es ist ein Junge. Mein Vater schlug sich gegen die Stirn und brüllte so laut, daß die Wachen herbeigestürzt kamen. Die Freunde scharten sich um meinen Vater, sie versuchten ihn zu trösten. Niemand beachtete die Hebamme, sie zog sich mit mir in die Kammer zurück und legte mich neben meine Mutter. So groß war die Aufregung, sie vergaßen, mir ein nasses Stück Baumwolle auf die Zunge zu legen.
    – Nun, da du geboren worden bist, kannst du mir verraten, wieso du mir all das erzählt hast? Glaubst du, Oberst Whistler will wissen, daß du besser ein Mädchen geworden wärst?
    – Die Erinnerung hat mich gepackt.
    – Wir müssen aufschreiben, was für dich spricht. Wir müssen deine reichhaltige Erfahrung als Diener aufzeigen, deine Stärken beschreiben, deine Erfolge benennen, deine Fähigkeiten verkünden. Von dem Unglück, das dir nachhängt, will keiner etwas wissen. Das kannst du mit deiner Frau teilen.
    – Ich habe keine Frau.
    – Keine Frau? Bist du Witwer?
    – Nein, ich habe nie geheiratet. Ich war verliebt,
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