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Der Weg zur Hölle

Der Weg zur Hölle

Titel: Der Weg zur Hölle
Autoren: Kaspar Dornfeld
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aufzudrängen, die entsprechenden Zukunftsvisionen auszumalen und sich nicht darum zu scheren, dass ihm keiner zuhörte. Vielleicht lag das aber auch an Wedelbecks Schluckauf, den man mit viel gutem Willen für eine nicht enden wollende Reihe von Zustimmungslauten halten konnte.
    *
    Wir erreichten das abstoßend hässliche Plattenbauviertel von Berlin-Marzahn im Osten der Stadt und bogen in die Allee der Kosmonauten ein, einer breiten Straße, die wohl nur aus Denkfaulheit ihrer Umbenennung nach der Wiedervereinigung des Landes entgangen war. In diesem Straßennamen steckt viel mehr Kinderglaube, der sich in grausame Ideologie verwandelt hat, als in jeder Leninallee. Außerdem sagt man heute Astronauten.
    Vor einem elfstöckigen Hochhaus stand eine gewaltige Menschentraube, gesäumt von Krankenwagen, Polizeiautos und Kleinbussen mit Aufdrucken diverser Fernsehsender.
    Meine beiden Polizisten machten sich nicht die Mühe, das Taxi durch die vielen Leute hindurch zu treiben, sondern stiegen etwas abseits aus dem Wagen, in der Hoffnung, unauffällig an dem Pulk vorbei zu kommen. Das erwies sich jedoch als unmöglich, denn nicht nur die Reporter glaubten, eine Art Grundrecht auf ihren Stehplatz zu haben, sondern auch all die mit Mobiltelefonen bewaffneten Hobbyjournalisten und Schaulustigen.
    Irgendwer erkannte Reemund und machte sofort alle Umstehenden auf ihn aufmerksam. Die Kameras richteten sich auf den Hauptkommissar. Der rollte mit den Augen, schluckte die Reste seiner Bonbons herunter, bekam einen Hustenanfall und krächzte: »Gehen Sie nach Hause. Hier gibt's nichts, was im Fernsehen nicht spannender wäre. Es ist spät. Sie müssen morgen zur Arbeit.« Hier legte er eine Pause ein und hustete noch einmal. »Zumindest die, die welche haben. Die anderen sollten trotzdem schlafen gehen. Das ist gut für den Körper. Schlafen.« Das letzte Wort sprach er in einem Ton aus, als ließe sich die Beschreibung des Paradieses auf dieses eine Wort reduzieren.
    *
    Der Fahrstuhl war kaputt. Es dauerte eine Weile, bis sich Reemund und Wedelbeck in eine Wohnung im sechsten Stock hinauf geschleppt hatten. Nun stand der Eine an den Türrahmen gelehnt und der Andere hatte die Hände auf die Knie gestützt.
    Mein erster Gedanke war, dass die immernoch nach Bier riechenden Kommissare wirklich Glück hatten, ausgerechnet hierher gerufen worden zu sein, denn an den vielen leeren und schlecht gestapelten Spirituosenflaschen im Flur war unschwer zu erkennen, dass in dieser Wohnung einiges an Alkohol konsumiert wurde. Außerdem war es dreckig. Pizzakartons und Geschirr mit verkrusteten Essensresten stapelten sich in der kleinen Küche, das Wohnzimmer war verraucht, vergilbt, muffig und es roch dem optischen Gesamteindruck entsprechend streng.
    Da waren noch mehr Zimmer, aber die sah ich nicht, und mir war auch nicht danach. Ich wollte mich am liebsten so wenig wie möglich bewegen, um nichts und niemanden berühren zu müssen.
    Eine Menge Leute wuselten durch die Wohnung. Uniformierte, andere in seltsamen Spezialanzügen, und jeder schien schwer beschäftigt zu sein. In der Mitte des Wohnzimmers auf einem Stuhl, flankiert von zwei Beamten saß der Hausherr, ein Mann von deutlich ungesunder Gesichtsfarbe in einem vollgekotzten Mantel und bedenklicher Nähe zum Alkoholkoma.
    Neben Wedelbeck erschien eine dicke Frau mit herzlichem Lächeln und wild abstehenden roten Haaren. Sie drückte den Kommissaren wortlos je einen Kaffeebecher in die Hand, dann runzelte sie die Stirn, brachte ihr Gesicht ganz nahe an das von Wedelbeck und schnüffelte ein paarmal.
    »Pfefferminzlikör?«
    »Bier und Vertuschung. Guten Abend, Schilling!«
    Die Frau nickte verständnisvoll und zeigte in Richtung des Balkons, der vom Wohnzimmer abging.
    »Wenn Sie wissen wollen, was uns um den Schlaf bringt, dann da lang. Es gibt auch frische Luft.«
    »Danke«, sagte Reemund, der sich inzwischen wieder aufgerichtet hatte und in die angezeigte Richtung davon stapfte.
    »Ihnen auch einen guten Abend, Chef«, rief ihm die Frau nach.
    Als ich hinterher schwebte, wurde mir bewusst, dass ich tatsächlich neugierig war. Angeekelt und voller Angst, was mich erwarten würde, aber eben neugierig wie ein gewöhnlicher Schaulustiger. Das war entschieden spannender als Parkbankbenutzungen zu protokollieren.
    Selbstverständlich lief die Arbeit der Spurensicherung sehr viel sachlicher, unspektakulärer und vor allem akribischer ab als im Fernsehen. Trotzdem freute ich mich, wenn ich
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